Der Heilige Stuhl
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Katechismus der Katholischen Kirche

1997
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  • DRITTER TEIL DAS LEBEN IN CHRISTUS
    • ZWEITER ABSCHNITT DIE ZEHN GEBOTE
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ZWEITER ABSCHNITT

DIE ZEHN GEBOTE

 

 

„Meister, was muß ich tun?"

 

2052 „Meister, was muß ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen?" Jesus weist den reichen jungen Mann, der ihm diese Frage stellt, zunächst darauf hin, daß Gott, der „allein Gute", als Inbegriff und Quell alles Guten anzuerkennen sei. Dann sagt Jesus zu ihm: „Wenn du aber das Leben erlangen willst, halte die Gebote". Und er nennt dem Fragesteller die Gebote, welche die Nächstenliebe betreffen: „Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen; ehre Vater und Mutter!" Schließlich faßt Jesus diese Gebote zusammen: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!" (Mt 19,16-19).

 

2053 Dieser ersten Antwort wird noch eine zweite hinzugefügt: „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann aber komm und folge mir nach!" (Mt 19,21). Dies hebt die erste Antwort nicht 1968 auf. Es gehört zur Nachfolge Christi, daß man die Gebote hält. Das Gesetz wird nicht abgeschafft [Vgl. Mt 5,17], sondern der Christ wird aufgefordert, es in der Person seines Meisters wiederzufinden, der dessen vollkommene Erfüllung ist. Die Aufforderung Jesu an den jungen Mann, ihm im Gehorsam eines Jüngers und im Beobachten der Gebote nachzufolgen, ist in den drei synoptischen Evangelien mit der Aufforderung zu Armut und Keuschheit verbunden [Vgl. Mt 19,6-12.21.23-29]. Die evangelischen Räte sind von den Geboten nicht zu trennen.

 

2054 Jesus hat die zehn Gebote übernommen; er hat aber auch die Kraft des Geistes geoffenbart, die in ihnen wirkt. Er predigte eine Gerechtigkeit, die „weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer" (Mt 5,20) und als die der Heiden [Vgl. Mt 5,46-47]. Er verdeutlichte die Forderungen der Gebote: „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten ... Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein" (Mt 5,21-22).

 

2055 Als man ihm die Frage stellt: „Welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste?" (Mt 22,36), antwortet Jesus: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deinen Gedanken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz samt den Propheten" (Mt 22,37-40) [Vgl. Dtn 6,5; Lev 19,18.]. Der Dekalog ist im Licht dieses zweifachen und zugleich einzigen Gebotes der Liebe auszulegen, welche die Erfüllung des Gesetzes ist:

 

„Die Gebote: Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren!, und alle anderen Gebote sind in dem einen Satz zusammengefaßt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Also ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes" (Röm ‘13,9-10).

 

Der Dekalog in der Heiligen Schrift

 

2056 „Dekalog" bedeutet wörtlich „zehn Worte" (Ex 34,28; Dtn 4,13; 10,4). Diese „zehn Worte" hat Gott seinem Volk auf dem heiligen Berg Sinai geoffenbart. Im Unterschied zu den anderen von Mose aufgezeichneten Geboten [Vgl. Dtn 31,9.24] hat der „Finger Gottes" (Ex 31, 18) [Vgl. Dtn 5,22] sie geschrieben. Darum sind sie in einem besonderen Sinn Worte Gottes. Überliefert werden sie uns im Buch Exodus [Vgl. Ex 20,1-17].und im Buch Deuteronomium [Vgl. Dtn 5,6-22]. Schon im Alten Testament nehmen die heiligen Bücher auf die „zehn Worte" Bezug [Vgl. z. B. Hos 4,2; Jer 7,9; Ez 18,5-9]. Doch erst im Neuen Bund, in Jesus Christus, enthüllt sich ihr tiefster Sinn.

 

2057 Der Dekalog ist zunächst im Zusammenhang mit dem Auszug aus Ägypten zu verstehen, jener im Zentrum des Alten Bundes stehenden großen Befreiungstat Gottes. Diese „zehn Worte", ob negativ als Verbote, oder positiv als Gebote (wie: „Ehre Vater und Mutter!") formuliert, zeigen die Bedingungen für ein von der Sklaverei der Sünde befreites Leben. Der Dekalog ist ein Weg des Lebens:

 

Wenn du „den Herrn, deinen Gott, liebst, auf seinen Wegen gehst und auf seine Gebote, Gesetze und Rechtsvorschriften achtest, dann wirst du leben und zahlreich werden" (Dtn 30,16).

Diese befreiende Kraft des Dekalogs zeigt sich zum Beispiel im Gebot der Sabbatruhe, das auch für die Fremden und die Sklaven gilt:

 

„Denk daran: Als du in Ägypten Sklave warst, hat dich der Herr, dein Gott, mit starker Hand und hoch erhobenem Arm dort herausgeführt" (Dtn 5,15).

 

2058 In den „zehn Worten" wird das Gesetz Gottes zusammengefaßt und verkündet: „Diese Worte sagte der Herr auf dem Berg zu eurer vollzähligen Versammlung, mitten aus dem Feuer, aus Wolken und Dunkel, unter lautem Donner, diese Worte und sonst nichts. Er schrieb sie auf zwei Steintafeln und übergab sie mir" (Dtn 5,22). Darum werden diese beiden Tafeln „die Bundesurkunde" genannt (Ex 25,16). Sie enthalten die Bestimmungen des Bundes zwischen Gott und seinem Volk. Diese „Tafeln der Bundesurkunde" (Ex 31,18; 32,15; 34,29) sollen in der „Lade" aufbewahrt werden (Ex 25,16; 40,3).

 

2059 Die „zehn Worte" werden von Gott im Rahmen einer Theophanie ausgesprochen - „Auge in Auge hat der Herr auf dem Berg mitten aus dem Feuer mit euch geredet" (Dtn 5,4). Die zehn Worte gehören zur Selbstoffenbarung Gottes und seiner Herrlichkeit. In den Geboten, die er gibt, schenkt Gott sich selbst und seinen heiligen Willen. Indem er seinen Willen kundtut, offenbart sich Gott seinem Volk.

 

2060 Die Gabe der Gebote und des Gesetzes ist Bestandteil des Bundes, den Gott mit den Seinen geschlossen hat. Dem Buch Exodus zufolge ergeht die Offenbarung der „zehn Worte" in der Zeit zwischen dem Bundesangebot [Vgl. Ex 19] und dem Bundesschluß [Vgl. Ex 24], nachdem sich das Volk verpflichtet hat, alles zu „tun", was der Herr gesagt hatte, und ihm zu „gehorchen" (Ex 24,7). Der Dekalog wird erst überliefert, wenn zuvor an den Bund erinnert worden ist (,‚Der Herr, unser Gott, hat am Horeb einen Bund mit uns geschlossen": Dtn 5,2).

 

2061 Die Gebote erhalten ihre volle Bedeutung innerhalb des Bundes. Der Schrift zufolge findet das moralische Handeln des Menschen seinen eigentlichen Sinn im Bund und durch den Bund. Das erste der „zehn Worte" erinnert daran, daß Gott sein Volk zuerst geliebt hat:

 

„Da zur Bestrafung der Sünde der Übergang vom Freiheitsparadies zur Knechtschaft dieser Welt geschehen war, betrifft der erste Satz des Dekalogs, das erste Wort der Gebote Gottes, die Freiheit: ‚Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus‘ (Ex 20,2; Dtn 5,6)" (Origenes, horn. in Ex. 8,1).

 

2062 Die eigentlichen Gebote folgen erst an zweiter Stelle; sie sagen, was aufgrund der durch den Bund gestifteten Zugehörigkeit zu Gott zu tun ist. Die sittliche Lebensführung ist Antwort auf das liebende Handeln des Herrn.

Sie ist Anerkennung, Ehrerbietung und Danksagung an Gott. Sie ist Mitwirkung an dem Plan, den Gott in der Geschichte verfolgt.

 

2063 Der Bund und der Dialog zwischen Gott und dem Menschen werden auch dadurch bezeugt, daß Gott als Gesetzgeber stets in der ersten Person spricht (,‚Ich bin der Herr . . .") und sich dabei immer an einen Einzelnen wendet (,‚Du..."). In allen Geboten Gottes wird der Adressat mit einem in der Einzahl gehaltenen Personalpronomen angesprochen. Während Gott seinen Willen dem ganzen Volk kundtut, teilt er ihn auch jedem einzelnen mit.

Der Herr „schrieb die Liebe zu Gott vor und schärfte die Gerechtigkeit gegen den Nächsten ein, damit der Mensch gerecht und Gottes würdig wäre, und bereitete ihn durch den Dekalog auf seine Freundschaft und auf die Eintracht mit dem Nächsten vor ... Die Worte des Dekalogs ... dauern auch bei uns [den Christen] fort, denn durch die Ankunft [des Herrn] wurden sie ausgefaltet und erweitert, nicht aber aufgehoben" (Irenäus, hær. 4,16,3-4).

 

Der Dekalog in der Überlieferung der Kirche

 

2064 Getreu der Schrift und in Übereinstimmung mit dem Beispiel Jesu hat die Überlieferung der Kirche dem Dekalog immer vorrangige Bedeutung zuerkannt.

 

2065 Seit dem hl. Augustinus nehmen die „zehn Gebote" in der Unterweisung der Taufbewerber und der Gläubigen einen wichtigen Platz ein. Im 15. Jahrhundert kam der Brauch auf, die Gebote des Dekalogs in positiver Formulierung und in leicht einzuprägender Reimform wiederzugeben. Dieser Brauch besteht zum Teil noch heute. Die Katechismen der Kirche legten die christliche Sittenlehre oft anhand der „zehn Gebote" dar.

 

2066 Im Lauf der Geschichte wurden die Gebote verschieden eingeteilt und numeriert. Der vorliegende Katechismus folgt der vom hl. Augustinus vorgenommenen Einteilung, die in der katholischen Kirche zur Tradition geworden ist. Sie ist auch die der lutherischen Bekenntnisse. Die griechischen Väter haben eine etwas andere Einteilung vorgenommen, die sich in den orthodoxen Kirchen und den reformierten Gemeinschaften findet.

 

2067 Die zehn Gebote bringen die Forderungen der Gottes- und Nächstenliebe zum Ausdruck. Die ersten drei Gebote beziehen sich vor allem auf die Liebe zu Gott, die sieben weiteren auf die Liebe zum Nächsten.

 

„Wie die Liebe zwei Gebote umfaßt, auf die der Herr das ganze Gesetz und die Propheten bezieht ... so sind die zehn Gebote auf zwei Tafeln verteilt. Drei waren auf die eine Tafel und sieben auf die andere geschrieben" (Augustinus, serm. 33,2,2).

 

2068 Das Konzil von Trient lehrt, daß die zehn Gebote für Christen verpflichtend sind und daß auch der gerechtfertigte Mensch sie zu befolgen hat [Vgl. DS 1569-1570]. Das Zweite Vatikanische Konzil bestätigt: „Die Bischöfe empfangen als Nachfolger der Apostel vom Herrn ... die Sendung, alle Völker zu lehren und jedem Geschöpf das Evangelium zu verkündigen, damit alle Menschen durch Glaube, Taufe und Erfüllung der Gebote das Heil erlangen" (LG 24).

 

 

Die Einheit des Dekalogs

 

2069 Der Dekalog bildet ein unteilbares Ganzes. Jedes seiner „Worte" verweist auf alle anderen; sie bedingen einander. Die beiden Tafeln erhellen einander; sie bilden eine Einheit. Wer ein Gebot übertritt, verstößt gegen das ganze Gesetz [Vgl. Jak 2,10-11]. Man kann den Mitmenschen nicht ehren, ohne Gott, seinen Schöpfer, zu preisen. Man kann Gott nicht anbeten, ohne die Menschen, seine Geschöpfe, zu lieben. Der Dekalog bringt das gottbezogene und das gesellschaftliche Leben des Menschen in eine Einheit.

 

 

Der Dekalog und das natürliche Gesetz

 

2070 Die zehn Gebote sind Teil der Offenbarung Gottes. Zugleich lehren sie uns die wahre Natur des Menschen. Sie heben seine wesentlichen Pflichten hervor und damit indirekt auch die Grundrechte, die der Natur der menschlichen Person innewohnen. Der Dekalog enthält einen hervorragenden Ausdruck des natürlichen Sittengesetzes:

 

„Von Anfang an hatte Gott die natürlichen Gebote in die Herzen der Menschen gepflanzt. Er begnügte sich zunächst damit, an sie zu erinnern. Das war der Dekalog" (Irenäus, hær. 4,15,1).

 

2071 Obwohl die Gebote des Dekalogs schon der Vernunft einsichtig sind, wurden sie geoffenbart. Um zu einer vollständigen und sicheren Erkenntnis der Forderungen des natürlichen Gesetzes zu gelangen, bedurfte die sündige Menschheit dieser Offenbarung.

 

„Im Zustand der Sünde war eine volle Erklärung der Gebote des Dekalogs nötig geworden, weil das Licht der Vernunft verdunkelt und der Wille vom Weg abgewichen war" (Bonaventura, sent. 4, 37, 1,3).

 

Wir erkennen die Gebote Gottes durch die göttliche Offenbarung, die uns in der Kirche verkündet wird und durch die Stimme des Gewissens.

Die Verbindlichkeit des Dekalogs

 

2072 Weil die zehn Gebote die Grundpflichten des Menschen gegenüber Gott und dem Nächsten zum Ausdruck bringen, sind sie ihrem Wesen nach schwerwiegende Verpflichtungen. Sie sind unveränderlich, sie gelten immer und überall. Niemand kann von ihnen dispensieren. Gott hat die zehn Gebote in das Herz des Menschen geschrieben.

 

2073 Die Gehorsamspflicht gegenüber den Geboten erstreckt sich auch auf Verpflichtungen, die der Sache nach weniger schwer wiegen. So wird z. B. durch das fünfte Gebot untersagt, einander durch Worte zu verletzen, was nur aufgrund der Umstände oder der Absicht dessen, der die Beleidigung ausspricht, ein schwerwiegendes Vergehen sein kann.

 

 

„Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen"

 

2074 Jesus sagte: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen" (Joh 15,5). Die Frucht, von der hier die Rede ist, ist die Heiligkeit eines durch die Vereinigung mit Christus fruchtbaren Lebens. Wenn wir an Jesus Christus glauben, an seinen Mysterien teilhaben und seine Gebote halten, liebt der Erlöser in uns seinen Vater und seine Brüder, unseren Vater und unsere Brüder. Durch die Gnade des Heiligen Geistes wird seine Person zur lebendigen inneren Richtschnur unseres Handelns. „Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe" (Joh 15,12).

 

 





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