Predigt zum Hochfest der hl. Elisabeth von Thüringen
orientiert an den Gedanken Dietrich v. Hildebrands
(19. XI. 1994, Kirche des St.-Elisabeth-Spitals)

Thema: Zur göttlichen Tugend der Liebe / Caritas.

Introitus: Elisabeth verließ ihr Haus und ihr Erbe, um das Los der Armen zu teilen. Der Herr aber hat sie zu sich erhoben.

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(Padre Alex)


Ehrwürdige Mutter Oberin, liebe Schwestern, hw. Mitbrüder, geschätzte Mitarbeiter, Andächtige in Christus, unserem Erlöser!

"Wer nicht liebt, bleibt im Tod". Die hl. Elisabeth führt uns zur Besinnung über die göttliche Tugend der Liebe. Manche Katholiken beklagen ja heute noch eine gewisse Enge und einen Legalismus einer früheren Epoche, den angeblichen Zustand vor dem Vatikanum II. Aber selbst wenn es stimmen sollte - und ich kann es nicht beurteilen - dann können und müssen wir sehr wohl die Reaktionen auf die frühere angebliche Enge beurteilen. Oft ginge es nämlich darum, eine nicht vollständige Wahrheit - wohlgemerkt: Wahrheit - zu ergänzen, nicht jedoch die Wahrheit von früher wegzustreichen, weil sie nämlich gestern, heute und morgen in Geltung bleiben wird.

Nun gab und gibt es Formulierungen wie: Gott und meine Seele allein zählen; alle anderen Dinge sind nur Mittel. Dies stand und steht in manchem asketischen Buch. Ganz wörtlich und einseitig interpretiert, müssen wir von einer Unvollständigkeit sprechen. Sicherlich schloß der Rat, nur auf Gott und unsere eigene Heiligung zu blicken und alles übrige als Mittel dazu zu betrachten, die Nächstenliebe nicht aus, da diese ja wesentlich zur Heiligung gehört; ohne sie wäre ja unsere Heiligung unmöglich. Jedoch so wahr es ist, daß die Verherrlichung Gottes der letzte Ruf an jeden einzelnen von uns ist, so können doch andere Personen nie als bloßes Mittel dafür betrachtet werden. Das ist auch klar in dem Gebot Christi zum Ausdruck gebracht, "Gott über alles zu lieben und seinen Nächsten wie sich selbst." Das heißt, wir sollten für dessen Heil und Heiligung auch brennen um seiner selbst willen (propter seipsum), d. h. aus Liebe zu ihm, obwohl die Verherrlichung Gottes ohne Zweifel den absoluten Vorrang haben muß.

Ein relativ kurz zurückliegendes typisches Beispiel einer falschen Reaktion ist nun die Theorie von einem gewissen Gregory Baum, die besagt: Während in früheren Zeiten das Trachten des Christen nur Gott und der Seele allein galt, sollte jetzt unser ausschließliches Interesse die Rettung des Nächsten sein. Dies ist eine bloße Reaktion und keine Vervollständigung der Wahrheit. Es ist ein entgegengesetzter, noch schwererer Irrtum!

Gott ist immer das Hauptthema, und meine Heiligung so wie die meines Nächsten sind gleich bedeutend, weil beide Gott verherrlichen. Weil die Verherrlichung Gottes über alles andere den Vorrang haben sollte, und weil Gott durch meine eigene Heiligung ebenso verherrlicht wird wie durch die meines Nächsten, ist sie von gleicher Bedeutung. Es bleibt aber (gleichwohl) wahr, daß die erste Aufgabe für jeden seine eigene Heiligung ist und die seines Nächsten. Meine Hauptaufgabe ist, Gott nicht durch Sünden zu beleidigen und Ihn durch meine Heiligung zu verherrlichen. Dies geht schon aus der einfachen Tatsache hervor, daß mein Einfluß auf meine eigene Bekehrung zu Christus hin unermeßlich größer ist als auf die Bekehrung und Heiligung irgendeines anderen Menschen. Es liegt in meiner Macht, mich mit der Hilfe der Gnade einer Beleidigung Gottes zu enthalten, doch leider nicht immer, meinen Nächsten davon abzuhalten.

(Beziehung zwischen Gottes- und Nächstenliebe)

Der Begriff der Caritas einem Nächsten gegenüber wurde also durch manche fromme, gutmeinende Katholiken in einem anderen Sinne mißdeutet. Man konnte Äußerungen hören wie: "Glaube mir, ich tue dies ausschließlich um Christi willen. Dieser kranke Mensch als solcher kümmert mich gar nicht." Unser Nächster kann bekanntlich jeder Mensch werden, ob er uns anzieht oder nicht, ob wir ihn leiden können oder nicht, wie immer sein Charakter sein mag. Durch eine bestimmte Situation, sei es, daß er etwas braucht oder uns um etwas bittet, oder daß er in Gefahr ist, wird er unser Nächster. Aber diese Nächstenliebe, so sehr sie sich von der Elternliebe oder von der bräutlichen Liebe unterscheidet, schließt keineswegs ein Interesse an dieser einzigartigen, konkreten Person selbst aus, also ein echtes Interesse für ihr Wohlergehen. Im Gegenteil, das allein macht es überhaupt erst möglich, die Nächstenliebe Liebe zu nennen. Sie erwärmt den Nächsten mit dem Hauch der Güte, sie umarmt schützend seine Seele, unabhängig von seiner freundlichen oder ablehnenden Antwort.

Nun ist es eine Grundwahrheit, daß diese eigentliche Nächstenliebe, die Caritas im paulinischen Sinne, nur möglich ist als eine Frucht unserer Liebe zu Gott in Christus und durch Christus. Zwischen Caritas und der bloß humanitären "Nächstenliebe" klafft ein Abgrund. Die unwiderstehliche, siegreiche Güte der Caritas, die in Christus fleischgeworden ist, kann nur in der Seele eines Menschen wohnen, dessen Herz von Christus aufgeschmolzen ist, der die Wundmale Christi in seiner Seele empfangen hat. Nur der kann echte Caritas haben, der Gott aus ganzer Seele und aus ganzem Gemüte liebt und der jedes menschliche Wesen im Lichte der Offenbarung Christi sieht. Das wird uns sichtbar in der hl. Menschheit Christi, das wird uns sichtbar in allen Heiligen und besonders in der hl. Elisabeth. Mögen wir verstehen, daß es ja gar kein Motiv für diese Antwort der Liebe auf einen bösen Menschen gäbe, auf einen Menschen, der abstoßend, gemein und brutal ist, wenn wir ihn nicht im Lichte der Offenbarung Christi sehen würden, als ein Wesen, von Gott mit einer unsterblichen Seele geschaffen, für die auch Christus am Kreuz gestorben ist. Es gibt keine andere Motivation für eine solche Liebe. Außerdem heißt es im heutigen Evangelium: "Tut denen Gutes, die euch hassen. Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür?" Wer das versteht, wer also das Wesen dieser übernatürlichen Liebe verstehen lernt, kann seinen Nächsten gar nicht ausschließlich als eine Gelegenheit betrachten, nur einen Akt des Gehorsams gegen Christus zu vollziehen. Es ist immer das wirkliche, volle Interesse am Nächsten um seiner selbst willen eingeschlossen, wie wir einem Text des letzten Konzils sehr schön entnehmen können: "Ja, wenn der Herr Jesus zum Vater betet, 'daß alle eins seien ... wie auch wir eins sind' ... deutet Er eine gewisse Ähnlichkeit an zwischen der Einheit der (drei) göttlichen Personen und der Einheit der Kinder Gottes in der Wahrheit und der Liebe. Dieser Vergleich macht offenbar, daß der Mensch, der auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur ist, sich selbst nur durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst finden kann." (GS 24) Soweit das Vatikanum II. Die falsche Interpretation der "Liebe um Christi willen" aber würde aus der Nächstenliebe bloß ein "Sich-Benehmen, als ob wir ihn liebten" machen. Doch Christus sagte: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!" und nicht: "Verhalte dich, als ob du ihn liebtest!" Dieses "Als ob" wäre eben nicht die Erfüllung des Gebotes Christi. Auch hier gilt also das Wort Christi: "Nach dem Maß, mit dem ihr meßt und zuteilt, wird auch euch zugeteilt werden." "Was ihr dem geringsten meiner Brüder tut, das habt ihr mir getan"; und hier dürfen wir nicht vergessen, daß Christus diesen konkreten Nächsten mit unendlicher Liebe liebt. Den Nächsten also nur als Gelegenheit für einen verdienstvollen Akt zu "benützen", schließt ein Ignorieren der Kostbarkeit ein, mit der er dadurch beschenkt ist, daß Christus auch ihn am Kreuz retten wollte, in unvergleichlicher Liebe.

Bedauerlicherweise finden wir aber als Reaktion auf frühere einseitige Interpretationen bei "progressistischen" Katholiken einen anderen, viel schwereren Irrtum: Um nämlich das echte Interesse zu betonen, das wir dem Nächsten entgegenbringen sollen, interpretieren sie die Worte Christi so, als ob wir Christus ausschließlich im Nächsten finden könnten. Die Folge davon ist aber, daß die Gottesliebe in den Hintergrund gedrängt wird, wenn sie nicht gänzlich verschwindet. Dieser Irrtum ist viel schwerer, weil er das erste Gebot Christi ignoriert, Gott zu lieben, und dies steht schließlich an erster Stelle. Schließlich heißt es auch im letzten Konzil: "Daher ist die erste und notwendigste Gabe die Liebe, durch die wir Gott über alles und den Nächsten um Gottes willen lieben." (Vgl. LG II, 16, 17; V, 39, 40, 42). Daß wir Christus auch in unserem Nächsten finden, setzt aber eindeutig die direkte Liebe zu Christus als Grundlage der Nächstenliebe voraus. Sobald wir glauben, die Nächstenliebe wäre die einzige Weise, Gott zu lieben, wir als Gebet, Opfer und die Tugend der Gottesverehrung vergessen würden, ergibt sich also Folge, daß die Caritas mit all ihrer strahlenden, feinsinnigen Heiligkeit durch eine bloß humanitäre Nächstenliebe ersetzt würde, die in Wirklichkeit nicht einmal mehr den Namen Liebe verdiente, sondern nur ein blasses Wohlwollen wäre. Diese Liebe hätte auch nicht mehr die Kraft, den zwischenmenschlichen Kreislauf der Rache zu besiegen. Auch bei Johannes ist die Nächstenliebe ja die notwendige Folge der Gottesliebe, ja ein möglicher Beweis für die Liebe zu Gott in und durch Christus. So nehmen wir wieder voll Freude die Worte der hl. Elisabeth von Thüringen in unsere Herzen auf: "Wir müssen füreinander da sein, weil Gott uns gezeigt hat, daß er für uns da ist." AMEN.


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