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PÄPSTLICHE BOTSCHAFT
ZUM 95. WELTTAG DES MIGRANTEN UND FLÜCHTLINGS
(2009)


Der Heilige Paulus Migrant, "Völker-Apostel"

 

Liebe Brüder und Schwestern,

in diesem Jahr hat die Botschaft zum Welttag des Migranten und Flüchtlings das Thema: »Der Heilige Paulus Migrant, ‘Völker-Apostel’«, und sie ist inspiriert vom feierlichen Ereignis des Jubiläumsjahres, das ich zu Ehren des Apostels anläßlich des 2000. Jahrestages seiner Geburt ausgerufen habe. Die Verkündigung und das Werk der Vermittlung zwischen den verschiedenen Kulturen und dem Evangelium, für das sich Paulus, der ein »Migrant aus Berufung« war, einsetzte, sind in der Tat ein wichtiger Bezugspunkt auch für all jene Menschen, die von den gegenwärtigen Migrationsbewegungen betroffen sind.

Als Sohn einer jüdischen Familie, die nach Tarsus in Zilizien ausgewandert war, wurde Saulus in jüdischer und hellenistischer Sprache und Kultur erzogen, wobei auch der kulturelle Kontext Roms eine wichtige Rolle spielte. Nachdem er auf dem Weg nach Damaskus Christus begegnet war (vgl. Gal 1,13–16), widmete er sich, obgleich er nie seine eigenen Traditionen verleugnete und dem Judentum sowie dem Gesetz stets Achtung und Dankbarkeit entgegenbrachte (vgl. Röm 9,1–5; 10,1; 2 Kor 11,22; Gal 1,13–14; Phil 3,3–6), ohne Zögern und voller Mut und Enthusiasmus seiner neuen Sendung, gemäß der Weisung des Herrn: »Brich auf, denn ich will dich in die Ferne zu den Heiden senden« (Apg 22,21). Sein Leben änderte sich dadurch grundlegend (vgl. Phil 3,7–11): Christus wurde zum eigentlichen Grund seines Daseins und zur Antriebskraft seines apostolischen Einsatzes im Dienst am Evangelium. Vom Verfolger der Christen wurde er zum Apostel Christi.

Geleitet vom Heiligen Geist, opferte er sich vorbehaltlos auf, um allen, ungeachtet ihrer Nationalität oder Kultur, das Evangelium zu verkünden, das »eine Kraft Gottes [ist], die jeden rettet, der glaubt, zuerst den Juden, aber ebenso den Griechen« (Röm 1,16). Auf seinen apostolischen Reisen verkündete er trotz aller Widerstände, auf die er stieß, zuerst das Evangelium in den Synagogen, wobei er seinen Landsleuten in der Diaspora besondere Aufmerksamkeit widmete (vgl. Apg 18,4–6). Wurde er von ihnen zurückgewiesen, wandte er sich den Heiden zu und wurde so zu einem wahren »Missionar der Migranten«, da er selbst ein Migrant und umherziehender Bote Gottes war, der jeden Menschen dazu einlud, im Sohn Gottes eine »neue Schöpfung« zu werden (2 Kor 5,17).

Die Verkündigung des Kerygma veranlasste ihn, die Meere des Nahen Ostens zu überqueren und auf den Straßen Europas entlang zu ziehen, bis er schließlich nach Rom gelangte. Er machte sich von Antiochien aus auf den Weg, wo er das Evangelium jenen Bevölkerungsgruppen verkündigte, die nicht dem Judentum angehörten, und wo die Jünger Jesu zum ersten Mal als »Christen« bezeichnet wurden (vgl. Apg 11,20.26). Sein Leben und seine Verkündigung waren vollkommen auf das Ziel ausgerichtet, dass Jesus von allen erkannt und geliebt werde, da alle Völker dazu berufen sind, in Ihm zu einem Volk zu werden.

Darin besteht auch in der gegenwärtigen Zeit, im Zeitalter der Globalisierung, der Sendungsauftrag der Kirche und eines jeden Getauften. Eine Sendung, bei der sich die aufmerksame pastorale Sorge auch auf die vielgestaltige Welt der Migranten richtet – Studenten im Ausland, Immigranten, Flüchtlinge, Vertriebene und Evakuierte –, einschließlich all jener, die Opfer der modernen Formen der Sklaverei, wie etwa des Menschenhandels, sind. Auch heute muss die Botschaft vom Heil mit der gleichen inneren Haltung vermittelt werden, durch die sich der Völkerapostel auszeichnete, wobei die verschiedenen sozialen und kulturellen Situationen ebenso berücksichtigt werden müssen wie die besonderen Schwierigkeiten, mit denen einige Menschen aufgrund ihrer Situation als Migranten und Menschen unterwegs konfrontiert sind. Es ist mein Wunsch, dass jede christliche Gemeinschaft den gleichen apostolischen Eifer wie der hl. Paulus pflegen möge, der allen die heilbringende Liebe des Vaters verkündete (Röm 8,15–16; Gal 4,6), um »möglichst viele [für Christus] zu gewinnen« (1 Kor 9,19), wobei er »den Schwachen ein Schwacher … und allen alles [geworden ist], um auf jeden Fall einige zu retten« (1 Kor 9,22). Sein Vorbild sporne auch uns dazu an, diesen unseren Brüdern und Schwestern unsere Solidarität zu zeigen und in allen Teilen der Welt und mit allen Mitteln das friedliche Miteinander der verschiedenen Ethnien, Kulturen und Religionen zu fördern.

Worin aber bestand das Geheimnis des Völkerapostels? Der missionarische Eifer und der Kampfgeist, durch die er sich auszeichnete, lassen sich durch die Tatsache erklären, dass er »von Christus ergriffen« (Phil 3,12) war und so eng mit Ihm verbunden blieb, dass er an seinem Leben Anteil hatte »durch die Gemeinschaft mit seinen Leiden« (Phil 3,10; vgl. auch Röm 8,17; 2 Kor 4,8–12; Kol 1,24). Dies ist die Quelle des apostolischen Eifers des hl. Paulus, der über sich erzählt: »…Gott, der mich schon im Mutterleib auserwählt und durch seine Gnade berufen hat, [offenbarte] mir in seiner Güte seinen Sohn, damit ich ihn unter den Heiden verkündige…« (Gal 1,15–16; vgl. auch Röm 15,15–16). Mit Christus fühlte er sich »mit-gekreuzigt«, so dass er schließlich von sich sagen konnte: »Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir« (Gal 2,20). Und keine Schwierigkeit konnte ihn davon abhalten, sein mutiges Werk der Evangelisierung in kosmopolitischen Städten wie Rom und Korinth fortzusetzen, deren Bevölkerung zu jener Zeit wie ein Mosaik aus verschiedensten Ethnien und Kulturen zusammengesetzt war.

Wenn wir die Apostelgeschichte und die Briefe lesen, die Paulus an verschiedene Empfänger richtet, erkennen wir das Modell einer Kirche, die niemanden ausschließt, sondern die offen ist für alle und von Gläubigen aller Kulturen und Rassen gebildet wird: Jeder Getaufte ist nämlich lebendiges Glied des einen Leibes Christi. Unter diesem Gesichtspunkt erhält die brüderliche Solidarität, die konkreten Ausdruck findet in den täglichen Gesten des Teilens, der Anteilnahme und der freudigen Sorge um die Mitmenschen, eine einzigartige Bedeutung. Der hl. Paulus lehrt uns jedoch, dass es nicht möglich ist, diese Dimension gegenseitiger brüderlicher Annahme in die Tat umzusetzen, wenn wir nicht bereit sind zum Hören und zur Aufnahme des verkündeten und gelebten Wortes Gottes (vgl. 1 Thess 1,6). Dieses Wort ruft alle zur Nachfolge Christi (vgl. Eph 5,1–2) auf den Spuren des Apostels auf (vgl. 1 Kor 11,1). Je mehr also die Gemeinde mit Christus vereint ist, um so mehr wird sie sich der Sorgen ihrer Mitmenschen annehmen, wobei sie Verurteilungen, Verachtung und Anstoßerregendes zu vermeiden sucht und für die gegenseitige Annahme offen ist (vgl. Röm 14,1–3; 15,7). Die Gläubigen, die Christus gleichförmig werden, erkennen sich in Ihm als »Brüder«, als Kinder des einen Vaters (Röm 8,14–16; Gal 3,26; 4,6). Diese so wertvolle Brüderlichkeit macht sie bereit, »jederzeit Gastfreundschaft zu gewähren« (vgl. Röm 12,13), welche die Erstlingsfrucht der Agape ist (vgl. 1 Tim 3,2; 5,10; Tit 1,8; Phlm 17).

Auf diese Weise verwirklicht sich die Verheißung des Herrn: »Dann will ich euch aufnehmen und euer Vater sein, und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein« (2 Kor 6,17–18). Wie könnten wir uns, erfüllt von diesem Bewusstsein, nicht um jene Menschen kümmern, die in schwierigen Notsituationen leben, wie etwa die Flüchtlinge und Vertriebenen? Wie könnten wir nicht den Bedürfnissen jener Menschen abhelfen, die schwach und schutzlos sind, in prekären und unsicheren Situationen leben und die an den Rand der Gesellschaft gedrängt oder völlig aus ihr ausgeschlossen werden? Gemäß den Worten eines bekannten Textes des hl. Paulus muss diesen Menschen besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden: »Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zu Schanden zu machen … und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das was etwas ist, zu vernichten, damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott« (1 Kor 1,27–29).

Liebe Brüder und Schwestern, der Welttag des Migranten und Flüchtlings, der am 18. Januar 2009 begangen wird, sei für alle ein Ansporn, ohne jegliche Unterschiede und Diskriminierungen die brüderliche Nächstenliebe in Fülle zu leben. Lassen wir uns dabei vom Bewusstsein tragen, dass all jene unsere Nächsten sind, die unsere Hilfe brauchen und denen wir helfen können (vgl. Deus caritas est, 15). Die Lehre und das Beispiel des hl. Paulus, jenes großen und demütigen Apostels und Migranten, der so vielen Völkern und Kulturen das Evangelium verkündete, mögen uns erkennen lassen, dass die praktizierte Nächstenliebe der Höhepunkt und die Zusammenfassung des gesamten christlichen Lebens ist. Das Gebot der Liebe – und dies wissen wir nur allzu gut – wird dann erfüllt, wenn die Jünger Christi gemeinsam am Tisch der Eucharistie teilhaben, die das Sakrament der Brüderlichkeit und der Liebe schlechthin ist. Und so wie Jesus uns im Abendmahlssaal neben dem Geschenk der Eucharistie auch das neue Gebot der brüderlichen Nächstenliebe gab, so sollen auch seine »Freunde« auf den Spuren Christi, der zum »Diener« der Menschen wurde, und geleitet von seiner Gnade, ganz einander dienen und sich umeinander kümmern, so wie es uns der hl. Paulus selbst empfohlen hat: »Einer trage des anderen Last; so werdet ihr das Gebot Christi erfüllen« (Gal 6,2). Nur so wird die Liebe unter den Gläubigen und zu allen anderen Menschen wachsen (vgl. 1 Thess 3,12).

Liebe Brüder und Schwestern, lasst uns unablässig diese »Frohe Botschaft« verkünden und bezeugen, und lasst uns dies tun voll Begeisterung, furchtlos und mit dem vollen Einsatz unserer Kräfte! In der Liebe ist die ganze Botschaft des Evangeliums enthalten, und wir erkennen die Jünger Christi an ihrer Liebe zueinander und an ihrer Gastfreundschaft gegenüber allen anderen. Diese Gabe erwirke uns der Apostel Paulus und insbesondere Maria, die Mutter der Aufnahme und Liebe. Während ich den göttlichen Beistand auf all jene, die den Migranten zur Seite stehen, sowie auf die gesamte Welt der Migration herabrufe, versichere ich einen jeden meines ständigen Gedenkens im Gebet und erteile von Herzen meinen Apostolischen Segen.

Aus Castelgandolfo, 24. August 2008

BENEDICTUS PP. XVI

 

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