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KONGREGATION FÜR DAS KATHOLISCHE BILDUNGSWESEN

ORIENTIERUNG
ZUR ERZIEHUNG IN DER 
MENSCHLICHEN LIEBE

Hinweise zur geschlechtlichen Erziehung

 

EINLEITUNG

Verwirklichung der Weisungen des Konzils

1. Die harmonische Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit läßt die Gottebenbildlichkeit des Menschen immer deutlicher aufscheinen. «Die wahre Erziehung erstrebt die Bildung der menschlichen Person in Hinordnung auf ihr letztes Ziel».(1) Im Zusammenhang mit der christlichen Erziehung spricht das 2. Vatikanische Konzil von der Notwendigkeit, die Kinder und Jugendlichen «durch eine positive und kluge Geschlechtserziehung zu unterweisen».(2)

Die Kongregation für das katholische Bildungswesen hält es für ihre Pflicht, im Rahmen ihrer Zuständigkeit ihren Beitrag für die Verwirklichung der Konzilserklärung zu leisten, wie ihn einige Bischofskonferenzen für ihr Gebiet bereits geleistet haben.

Thema des Dokumentes

2. Dieses Dokument entstand mit Hilfe von Fachleuten in Erziehungsfragen und wurde vielen zur Begutachtung vorgelegt. Sein Ziel ist, die pädagogische Seite der geschlechtlichen Erziehung zu beleuchten und geeignete Hinweise für die ganzheitliche Formung des Christen, je nach seiner Berufung, zu geben.

Überall sind die jeweils zutreffenden Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre vorausgesetzt, auch wenn sie nicht jedesmal ausdrücklich genannt werden.

Anpassung an die verschiedenen Länder

3. Die Kongregation für das katholische Bildungswesen ist sich der kulturellen und sozialen Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern bewußt. Darum bedürfen diese Hinweise der Anpassung an die pastoralen Erfordernisse der Ortskirche durch die Bischofskonferenzen.

DIE BEDEUTUNG DER GESCHLECHTLICHKEIT

Wichtige Rolle der Geschlechtlichkeit in der Erziehung 

4. Die Geschlechtlichkeit ist eine grundlegende Komponente der Persönlichkeit; sie ist eine ihrer Weisen zu sein, sich kundzutun, in Beziehung zu anderen zu treten, menschliche Liebe zu empfinden, auszudrücken und zu leben. Sie gehört zur Entfaltung der Persönlichkeit und ihrem Reifungsweg in der Erziehung: «Aus dem Geschlecht nämlich ergeben sich die besonderen Merkmale, die die menschliche Person im biologischen, psychologischen und geistigen Bereich als Mann und Frau bestimmen. Diese haben somit einen sehr großen Einfluß auf ihren Reifungsprozeß und ihre Einordnung in die Gesellschaft».(3)

Die Geschlechtlichkeit kennzeichnet Mann und Frau nicht nur im Biologischen, sondern auch im Psychologischen und Geistigen und prägt sie in jedem Vollzug ihres Lebens. Diese Verschiedenheit zusammen mit der gegenseitigen Ergänzung der beiden Geschlechter entspricht voll und ganz dem Plan Gottes je nach der Berufung eines jeden.

Geschlechtlichkeit und geschlechtliche Vereiningung

5. Die geschlechtliche Vereinigung, hingeordnet auf die Weitergabe des Lebens, ist auf der Ebene des Leiblichen der höchste Audruck der Einheit in der Liebe zwischen den Ehegatten. Herausgerissen aus diesem Zusammenhang gegenseitigen Schenkens, welches für den Christen durch die Gnade Gottes besonders getragen und bereichert ist, verliert diese Vereinigung ihren Sinn, verfällt der Ichsucht des einzelnen und stellt eine sittliche Unordnung dar.(4)

Ausrichtung der Geschlechtlichkeit an der Liebe

6. Die Geschlechtlichkeit, welche Ausrichtung, Überhöhung und Ergänzung von der Liebe erfährt, wird zu etwas wahrhaft Menschlichem. Im Rahmen der biologischen und psychologischen Entwicklung kommt sie zu harmonischem Wachstum und erfüllter Verwirklichung nur bei allmählicher Erlangung der affektiven Reife, deren Ausweis selbstlose Liebe und Hingabe ohne jeden Vorbehalt ist.

DIE GEGENWÄRTIGE LAGE

Gefahr der Orientierungslosigkeit 

7. Im Denken über die geschlechtliche Erziehung lassen sich heute, auch unter Christen, beachtliche Unterschiede feststellen. In der gegenwärtigen Orientierungslosigkeit auf sittlichem Gebiet besteht sowohl die Gefahr eines schädlichen Konformismus wie auch von Vorurteilen, welche das innerste Wesen des Menschen, das aus der Hand des Schöpfers unversehrt hervorging, verkennen.

Notwendigkeit der geschlechtlichen Erziehung 

8. Als Antwort auf diese Lage wird von verschiedenen Seiten eine geeignete geschlechtliche Erziehung befürwortet. Aber wenn man auch theoretisch von deren Notwendigkeit weitgehend überzeugt ist, so bleiben im Praktischen noch beträchtliche Unsicherheiten und Unterschiede sowohl hinsichtlich der Person und Einrichtungen, welche die Verantwortung in der Erziehung übernehmen sollen sowohl hinsichtlich des Inhalts und der Methoden.

Oft nicht vorbereitet 

9. Erzieher und Eltern sehen sich oft nicht hinreichend vorbereitet, eine angemessene geschlechtliche Erziehung zu geben. Die Schule ist häufig nicht in der Lage, eine Gesamtschau des Themas zu bieten; eine bloß naturwissenschaftliche Information bliebe unvollständig.

Besondere Schwierigkeiten in manchen Ländern 

10. Schwierigkeiten bestimmter Art finden sich in Ländern, in denen man sich der Dringlichkeit des Problems noch nicht bewußt ist oder meint, es löse sich von selbst - ohne besondere Erziehung.

Schwierige Aufgabe

11. Ganz allgemein muß man zugeben, daß es sich um eine schwierige Aufgabe handelt, weil die im Erziehungsgeschehen zu berücksichtigenden Faktoren so vielfältig sind (physiologische, psychologische, pädagogische, sozio-kulturelle, juristische, sittliche und religiöse).

Lobenswerte Initiativen 

12. Unter Billigung und Ermutigung der Ortsbischöfe haben katholische Einrichtungen vielerorts eine wertvolle Tätigkeit auf dem Gebiet der geschlechtlichen Erziehung begonnen. Ihr Ziel ist es nicht nur, den Kindern und Jugendlichen auf dem Weg zu psychischer und geistiger Reife zu helfen, sondern auch vor allem, sie auf die Gefahren einer oft orientierungslosen und herabziehenden Umwelt vorzubereiten.

Mit wissenschaftlichem Ernst

13. Lobende Erwähnung verdient auch das Bemühen jener, die sich dem Problem mit wissenschaftlichem Ernst gewidmet haben und, ausgehend von den Humanwissenschaften, die Ergebnisse solcher Untersuchungen in einen Lösungsvorschlag einbrachten, welcher der Würde des Menschen, wie sie im Evangelium aufleuchtet, gerecht wird.

DIE ERKLÄRUNGEN DES LEHRAMTS

Der rechte Gesamtzusammenhang der geschlechtlichen Erziehung

14. In den Erklärungen des Lehramts zur geschlechtlichen Erziehung zeigt sich ein Fortschritt, der sowohl den berechtigten Erfordernissen der Geschichte als der Treue zur Überlieferung entspricht.(5)

Das 2. Vatikanische Konzil zeigt in der «Erklärung über die christliche Erziehung» den Zusammenhang auf, in den sich die geschlechtliche Erziehung einordnen muß (6) und betont das Recht der Jugend auf eine den persönlichen Bedürfnissen entsprechende Erziehung.

Das Konzil erklärt:

«Unter Verwertung der Fortschritte der psychologischen, der pädogogischen und der didaktischen Wissenschaft sollen also die Kinder und Jugendlichen in der harmonischen Entfaltung ihrer körperlichen, sittlichen und geistigen Anlagen so gefördert werden, daß sie allmählich ein tieferes Verantwortungsbewußtsein erwerben für ihr eigenes Leben und seine im Streben zu leistende Entfaltung und für das Wachsen in der wahren Freiheit, in der tapferen und beharrlichen Überwindung der widerstreitenden Kräfte. Nach den jeweiligen Altersstufen sollen sie durch eine positive und kluge Geschlechtserziehung unterwiesen werden».(7)

Die Familie: erste Stätte der Erziehung ... 

15. Die Pastoralkonstitution «Gaudium et spes» spricht von der Würde der Ehe und der Familie und bezeichnet die letztere als die vorzügliche Stätte der Erziehung der Jugendlichen zur Keuschheit.(8) Da diese aber ein Teil der Gesamterziehung ist, fordert sie die Zusammenarbeit der Erzieher mit den Eltern in der Erfüllung ihrer Sendung.(9) Diese Erziehung muß den Kindern und Jugendlichen in der Familie(10) stufenweise und immer im Blick auf die Gesamtformung der Person zuteil werden.

... und der Erschließung wesentlicher Werte

16. Im Apostolischen Schreiben über die Sendung der christlichen Familie in der heutigen Welt spricht Papst Johannes Paul II. der geschlechtlichen Erziehung eine bedeutende Rolle zu, weil es da um einen Wert der Person geht. «Die Erziehung zur Liebe als Hingabe seiner selbst ist auch die unerläßliche Voraussetzung für die Eltern in ihrer Aufgabe, den Kindern eine klare und taktvolle Geschlechtserziehung zu vermitteln. Angesichts einer Kultur, die in weiten Kreisen die menschliche Geschlechtlichkeit «banalisiert», weil sie diese in verkürzter und verarmter Weise interpretiert und lebt, indem sie sie einzig mit dem Leib und dem egoistisch verstandenen Vergnügen in Verbindung setzt, muß der erzieherische Dienst der Eltern entschieden auf eine Kultur der Geschlechtlichkeit hinzielen, die wahrhaft und voll menschlich ist; die Geschlechtlichkeit ist ja ein Reichtum der ganzen Person - Leib, Gemüt und Seele - und zeigt ihre tiefste Bedeutung darin, daß sie die Person zur Hingabe ihrer selbst in der Liebe führt».(11)

Unterstützung durch die Schule 

17. Gleich anschließend spricht der Papst von der Verantwortung der Schule für diese Erziehung, die den Eltern dienen und mit ihnen abgestimmt sein muß. «Die Geschlechtserziehung, Grundrecht und -pflicht der Eltern, muß immer unter ihrer sorgsamen Leitung erfolgen, sei es zu Hause, sei es in den von ihnen für die Kinder gewählten Bildungsstätten, deren Kontrolle ihnen zusteht. In diesem Sinn betont die Kirche das Prinzip der Subsidiarität, das die Schule beobachten muß, wenn sie sich an der Geschlechtserziehung beteiligt; sie hat sich dabei vom gleichen Geist leiten zu lassen wie die Eltern».(12)

Erziehung zur Keuschheit

18. Damit der Wert der Geschlechtlichkeit zu seiner vollen Verwirklichung kommt, «ist die Erziehung zur Keuschheit völlig unverzichtbar», welche die Person «befähigt, die bräutliche Bedeutung des Leibes zu achten und zu entfalten».(13) Sie besteht in der Herrschaft über sich selbst, in der Fähigkeit, den Geschlechtstrieb auf den Dienst der Liebe hinzulenken und ihn in die Entfaltung der Person einzufügen. Die Keuschheit, eine Frucht der Gnade Gottes und unserer Mitwirkung, ist darauf ausgerichtet, die verschiedenen Bereiche der Person harmonisch zu verbinden und die Schwäche der von der Sünde gezeichneten menschlichen Natur zu überwinden, so daß jeder der ihm eigenen göttlichen Berufung zu folgen vermag.

Im Bemühen um eine gute Erziehung zur Keuschheit werden «die christlichen Eltern ... - sollten sie die Zeichen einer göttlichen Berufung erkennen - der Erziehung zur Jungfräulichkeit eine besondere Aufmerksamkeit und Sorge widmen und in ihr die höchste Form jener Selbsthingabe sehen, welche den Sinn der menschlichen Geschlechtlichkeit bildet».(14)

Notwendiger Bezug zur sittlichen Norm

19. In den Lehräußerungen von Papst Johannes Paul II. hat die positive Betrachtung von Werten, die es zu entdecken und zu schätzen gilt, Vorrang vor einer Norm, die nicht verletzt werden darf. Dennoch deutet und formuliert die Norm die Werte, welche der Mensch erstreben muß.

«Auf Grund der engen Verbindungen zwischen der geschlechtlichen Dimension der Person und ihren ethischen Werten», so fährt der Papst fort, «muß die Erziehung die Kinder dazu führen, die sittlichen Normen als notwendige und wertvolle Garantie für ein verantwortliches persönliches Wachsen in der menschlichen Geschlechtlichkeit zu erkennen und zu schätzen. Deshalb wendet sich die Kirche entschieden gegen eine gewisse, vielfach verbreitete Art sexueller Information; losgelöst von sittlichen Grundsätzen, ist sie nichts anderes als eine Einführung in die Erfahrung des Vergnügens und ein Anreiz, der den Kindern - schon in den Jahren der Unschuld - ihre Unbefangenheit nimmt und den Weg des Lasters öffnet».(15)

Adressaten des Dokumentes: die Erzieher

20. Dieses Dokument, das von der christlichen Sicht des Menschen ausgeht und die Grundsätze berücksichtigt, die in letzter Zeit vom kirchlichen Lehramt hervorgehoben wurden, möchte den Erziehern einige grundlegende Orientierungslinien anbieten über die geschlechtliche Erziehung sowie über Bedingungen und Verhaltensweisen, die in der Praxis zu berücksichtigen sind.

I. 
EINIGE GRUNDLEGENDE PRINZIPIEN

Christliche Erziehung im Glauben gegründet 

21. Alle Erziehung ist von einem ganz bestimmten Menschenbild geprägt. Die christliche Erziehung zielt darauf ab, die umfassende Selbstverwirklichung des Menschen, der leibgebundener Geist ist, durch die Entfaltung seines Seins, seiner Natur- und Geistesgaben, mit denen er von Gott ausgestattet ist, zu fördern. Die christliche Erziehung ist im Glauben gegründet, der «alles mit neuem Licht überstrahlt und die Absichten Gottes mit der ganzheitlichen Berufung des Menschen offenbart».(16)

CHRISTLICHE AUFFASSUNG VON DER GESCHLECHTLICHKEIT

Der Leib offenbart den Sinn des Lebens ...

22. Die christliche Auffassung vom Menschen erkennt dem Leib eine einzigartige Funktion zu, verhilft er doch dazu, den Sinn des Lebens und der menschlichen Bestimmung offenzulegen. Die Leiblichkeit ist ja jene besondere Weise des Seins wie des Handelns, die dem menschlichen Geist eigentümlich ist. Diese Bedeutung ist zumal anthropologischer Natur: «der Leib erschließt den Menschen»,(17) «er ist Ausdruck der Person»,(18) und ist darum die ursprünglichste Botschaft Gottes an den Menschen, gleichsam eine Art «Ursakrament, verstanden als ein Zeichen, welches inmitten der sichtbaren Welt das unsichtbare Geheimnis vermittelt, das von Ewigkeit her in Gott verborgen ist».(19)

... die Liebe Gottes ...

23. Daneben gibt es eine zweite Bedeutung, die theologaler Natur ist: der Leib trägt dazu bei, Gott und seine Liebe als Schöpfer zu offenbaren, insoweit sie die Geschöpflichkeit des Menschen, seine Abhängigkeit von einem ursprünglichen Geschenk, welches Geschenk der Liebe ist, kundgibt. «Das ist der Leib: Zeugnis der Schöpfung als eines ursprünglichen Geschenks, Zeugnis also der Liebe als eines Quellgrundes, der alles Sich-verschenken aus sich heraus entläßt».(20)

... die Berufung zu gegenseitiger Hingabe ...
... und zur Fruchtbarkeit

24. Der Leib, insoweit geschlechtsbestimmt, drückt die Berufung des Menschen zur Gegenseitigkeit aus, also zur Liebe und zum gegenseitigen Sich-schenken.(21) Schließlich erinnert der Leib Mann und Frau an ihre wesenhafte Berufung zur Fruchtbarkeit als einer der grundlegenden Bedeutungsgehalte ihrer Geschlechtlichkeit.(22)

Mann und Frau verschieden zur gegenseitigen Ergänzung

25. Die Geschlechtsunterscheidung, welche als eine nähere Bestimmung des Menschseins erscheint, bedingt zwar Unterschiedlichkeit, dies aber in gleicher Natur und Würde.(23) Die menschliche Person fordert auf Grund ihrer innersten Natur eine Beziehung zum anderen; das schließt Gegenseitigkeit der Liebe ein.(24) Die Geschlechter ergänzen einander. Sie sind einander ähnlich und unähnlich zur gleichen Zeit. Zwar sind sie nicht identisch, wohl aber gleichwertig im Blick auf die Würde der Person; gleichgeartet zu gegenseitigem Verstehen, sind sie doch verschieden zur gegenseitigen Ergänzung.

Sie bilden eine Gemeinschaft der Liebe

26. Mann und Frau verwirklichen je auf ihre Weise eine bestimmte Teilhabe des menschlichen Geschöpfes am göttlichen Sein: sie sind geschaffen nach «Gottes Gleichnis und Ebenbild» und leben diese Berufung nicht nur als einzelne, sondern als Paar, als Gemeinschaft der Liebe.(25) Ausgerichtet auf Vereinigung und Fruchtbarkeit, haben Mann und Frau als Ehepartner an der schöpferischen Liebe Gottes teil; sie haben Lebensgemeinschaft mit Gott durch den anderen.(26)

Die Sünde als Hindernis ehelicher Erfahrung

27. Die Sünde verdunkelt die ursprüngliche Unschuld, erschwert dem Menschen das Wahrnehmen dieser Botschaft. Deren Aufschlüsselung ist zum sittlichen Auftrag geworden, zum Gegenstand einer hochgradigen Leistung, die dem Menschen anvertraut ist: «Mann und Frau verloren nach der Ursünde die Gnade der ursprünglichen Unschuld. Den bräutlichen Sinngehalt des Leibes wahrzunehmen wurde nicht mehr einfachhin durch Offenbarung und Gnade gewährleistet. Trotzdem blieb dieser Sinngehalt dem Menschen als Auftrag übertragen, und zwar vom sittlichen Anspruch jenes Geschenkes, das im Innersten des menschlichen Herzens eingeschrieben ist, gleichsam als entferntes Echo der ursprünglichen Unschuld».(27)

In dieser Fähigkeit des Leibes, zugleich Zeichen und Weg sittlicher Berufung zu sein, kann man eine Ähnlichkeit zwischen diesem Leib und der sakramentalen Ordnung entdecken, die ihrerseits der konkrete Weg ist, auf dem Gnade und Heil den Menschen erreichen.

Tendenz zur Abwertung des Geschlechtlichen

28. Weil der «geschichtliche» Mensch versucht ist, Geschlechtlichkeit auf die sexuelle Erfahrung einzuschränken, gab es verständlicherweise Reaktionen, deren Anliegen es war, die Geschlechtlichkeit abzuwerten, so als ob sie natürlicherweise des Menschen unwürdig sei. Die vorliegenden Orientierungslinien wenden sich bewußt gegen eine derartige Entwertung.

Christus: der vollkommene Mensch

29. «Nur im Geheimnis des menschgewordenen Wortes wird das Geheimnis des Menschen erhellt»,(28) ergreift die menschliche Existenz in der Berufung zum ewigen Leben ihren vollen Sinngehalt. Nur in der Nachfolge Christi antwortet der Mensch auf diese Berufung und wird so im Vollsein Mensch; er schreitet fort, bis er den vollkommenen Menschen erreicht, nach dem Maß der vollen Reife in Christus.(29)

Im Licht Christi: Ehe ...

30. Im Licht des Christusgeheimnisses erscheint uns die Geschlechtlichkeit als eine Berufung, jene Liebe zu üben, die der Geist Gottes in den Herzen der Erlösten ausgießt. Jesus Christus hat diese Berufung erhöht durch das Sakrament der Ehe.

... und Jungfräulichkeit

31. Zudem hat Jesus durch sein Wort und sein Beispiel die Berufung zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen aufgezeigt.(30) Die Jungfräulichkeit ist Berufung zur Liebe sie macht das Herz freier, Gott zu lieben.(31) Das jungfräuliche Herz, frei von den Verpflichtungen ehelicher Liebe, kann darum verfügbarer sein für die selbstlose Bruderliebe.

Die Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen drückt darum angemessener die Hingabe Christi an den Vater um der Brüder willen aus, sie bildet besser die Wirklichkeit des ewigen Lebens ab, welches ganz von Liebe durchdrungen ist.(32)

Gewiß bedeutet die Jungfräulichkeit Verzicht auf den typischen Erweis ehelicher Liebe, aber dies mit dem Ziel, sich auf die Kraft selbstloser Hingabe an die anderen, welche der Geschlechtlichkeit eingestiftet ist, noch tiefer einzulassen und sich zugleich von der Kraft des Geistes bestärken und umwandeln zu lassen, der die Liebe zum Vater und zu den Brüdern lehrt, wie dies Jesus getan hat.

Werte der Geschlechtlichkeit ...

32. Zusammenfassend läßt sich sagen : Die Geschlechtlichkeit ist eine Berufung, um eine Vielzahl von Werten auszudrücken, deren spezifische sittliche Forderungen entsprechen. Ausgerichtet auf den zwischenmenschlichen Dialog, verhilft sie zur ganzheitlichen Reifung des Menschen, indem sie ihn offen macht für die liebende Hingabe seiner selbst. Im Rahmen der Schöpfungsordnung an die Fruchtbarkeit und Weitergabe des Lebens gebunden, ist sie dazu gerufen, auch dieser inneren Bestimmung treu zu sein. Liebe und Fruchtbarkeit sind gemeinhin Sinngehalte und Werte der Geschlechtlichkeit, die sich gegenseitig einschließen und einander fordern, die darum nicht getrennt noch in Gegensatz zueinander gebracht werden können.

... in den verschiedenen Berufungen

33. Das Gefühlsleben, das der jeweiligen geschlechtlichen Bestimmtheit eigen ist, drückt sich auf bezeichnende Weise in den unterschiedlichen Lebensständen aus: in der ehelichen Verbindung, in der gottgeweihten Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen, in der Situation des Christen, der noch vor der Übernahme ehelicher Verpflichtungen steht, der unverheiratet blieb oder diesen Stand gewählt hat. In jedem Fall muß das Gefühlsleben in die Ganzheit der Person integriert werden.

WESEN, ZIEL UND MITTEL DER GESCHLECHTLICHEN ERZIEHUNG

Ziel der geschlechtlichen Erziehung: Kenntnis ...

34. Ziel dieser Erziehung ist eine hinreichende Kenntnis des Wesens und der Bedeutung der Geschlechtlichkeit und der harmonischen und ganzheitlichen Entfaltung der Person zu ihrer seelischen Reifung im Sinne der vollen «geistlichen» Reife, zu der alle Gläubigen berufen sind.(33)

Zu diesem Zweck wird der christliche Erzieher die Grundsätze des Glaubens und die verschiedenen Methoden des Mitwirkens bedenken sowie die positive Wertung der Geschlechtlichkeit in der heutigen Pädagogik berücksichtigen.

... Bildung, Reifung und ...

35. In der Sicht der christlichen Anthropologie muß die Erziehung im geschlechtlichen Bereich und des mit ihm verbundenen Gefühlslebens die Ganzheit der Person in Betracht ziehen und folglich die Einbeziehung der biologischen, seelisch-gefühlsmäßigen, gesellschaftlichen und geistlichen Komponenten verlangen. Diese Einbeziehung ist schwieriger geworden, weil auch der Glaubende an den Folgen der Erbsünde trägt.

Eine wirksame «Bildung» kann sich nicht auf die Vermittlung von Kenntnissen beschränken, die sich nur an den Verstand wenden, sondern sie muß der Erziehung des Willens, der Gefühle und Regungen besondere Aufmerksamkeit schenken. In der Tat, um zur Reife des geschlechtliehen Gefühlslebens zu kommen, braucht es Selbstbeherrschung, welche Tugenden wie Schamhaftigkeit, Zucht und Maß, Achtung vor sich und den anderen sowie Aufgeschlossenheit für den Nächsten voraussetzt.

All das ist nur möglich kraft des Heils, das von Jesus Christus kommt.

... Fähigkeit zur Selbsthingabe

36. Auch wenn es verschiedene Weisen gibt, in denen sich die Geschlechtlichkeit in den einzelnen Personen verwirklicht, muß die Erziehung vor allem jene Reife fördern, die «nicht nur die Aufnahme des Wertes der Geschlechtlichkeit in das Gesamtgefüge der Werte beinhaltet, sondern auch die Bereitschaft zur Hingabe, also die Fähigkeit, sich in selbstloser Liebe anderen zu schenken. Ist diese Fähigkeit in hinreichendem Maße entwickelt, dann kann der Betreffende spontane Kontakte aufnehmen, seine Gefühle beherrschen und sich ernsthaft auf andere einlassen».(34)

Von Werten beseelte Kenntnis

37. Die heutige christlich inspirierte Pädagogik sieht im zu Erziehenden, in seiner Ganzheit und Komplexität, die Hauptperson der Erziehung. Man muß ihm, vor allem durch ein Vertrauensverhältnis, helfen, seine Anlagen zum Guten zu entwickeln. Das vergißt man sehr leicht, wenn man der bloßen Information zu viel Bedeutung auf Kosten der anderen Dimensionen der geschlechtlichen Erziehung beimißt. In der Tat ist in der Erziehung die Vermittlung neuer Erkenntnisse von größter Bedeutung, aber nur wenn sie verlebendigt wird durch die Aneignung der entsprechenden Werte und durch ein waches Bewußtsein der mannigfaltigen persönlichen Verantwortung, die mit dem Erwachsenenalter verbunden ist.

Auswirkungen der Geschlechtlichkeit auf die Person

38. Bei den Auswirkungen der Geschlechtlichkeit auf die ganze menschliche Person muß man sich vielfältige Gesichtspunkte gegenwärtig halten: die gesundheitliche Situation, die Einflüsse der familiären und sozialen Umwelt, die Eindrücke, die die Person aufnimmt, und ihre Reaktionen darauf, die Erziehung des Willens, die Entwicklungsstufe des geistlichen Lebens, das durch die Hilfe der Gnade gestützt wird.

Der Jugend wertvolle Ideale vorstellen

39. Was bisher ausgeführt wurde, dient den Erziehern als Hilfe und Leitlinie bei der Persönlichkeitsbildung der Jugend. Sie müssen diese zum kritischen Nachdenken über die empfangenen Eindrücke anregen und, während sie ihr Ideale vor Augen stellen, müssen sie persönlich und als Gemeinschaft das Zeugnis eines echt geistlichen Lebens geben.

Klare Begründungen

40. In Anbetracht des engen Zusammenhangs zwischen Sittlichkeit und Geschlechtlichkeit muß die Vermittlung der sittlichen Normen von klaren Begründungen getragen sein, so daß eine echte persönliche Zustimmung heranreifen kann.

Unterschiedliche Bedeutung der Geschlechtlichkeit je nach Alter

41. Die moderne Pädagogik ist sich der Tatsache voll bewußt, daß das menschliche Leben stets von Entwicklung gekennzeichnet und die Persönlichkeitsbildung ein ständiger Prozeß ist. Das gilt auch für die Geschlechtlichkeit, die sich in den einzelnen Lebensphasen in verschiedener Weise ausdrückt. Sie trägt offenkundig zu jedem Reifestadium Bereicherungen und bemerkenswerte Schwierigkeiten bei.

Entwicklungsstadien der Geschlechtlichkeit 

42. Die Erzieher müssen sich die Grundstadien dieser Entwicklung gegenwärtig halten: den frühen Instinkt, der sich zunächst im unentwickelten Zustand kundtut und in der Folgezeit der Ambivalenz von Gut und Böse begegnet; dann - mit Hilfe der Erziehung - stabilisieren sich die Gefühle, und gleichzeitig wächst der Sinn für Verantwortung, die Ichsucht verschwindet allmählich, eine gewisse Selbstzucht greift Platz, der andere wird angenommen und um seiner selbst willen geliebt. Die Komponenten der Geschlechtlichkeit integrieren sich: Sexualität, Erotik, Liebe und Gutsein. Auch wenn das vollständige Ergebnis nicht immer erreicht wird, gibt es doch viel mehr Menschen, als man meint, die sich dem ersehnten Ziel nähern.

Volle Erziehung nur in gläubiger Umwelt

43. Die christlichen Erzieher sind überzeugt, daß geschlechtliche Erziehung sich nur in gläubiger Umwelt voll verwirklicht. Durch die Taufe in den auferstandenen Christus eingegliedert, weiß der Christ, daß auch sein Leib vom Geist, den Jesus ihm mitteilt, beseelt und geläutert ist.(35)

Der Glaube an das Geheimnis des auferstandenen Christus, der durch seinen Geist in den Gläubigen das Geheimnis der Auferstehung verwirklicht und fortführt, läßt den Gläubigen die Berufung zur Auferstehung des Fleisches entdecken, die durch den Geist, der im Gerechten wohnt, schon als Unterpfand und Same der völligen und endgültigen Auferstehung begonnen hat.

Sünde und andere negative Faktoren

44. Die von der Sünde ausgelöste Unordnung, die im Einzelmenschen wie in der Kultur, die die Gesellschaft kennzeichnet, vorhanden und wirksam ist, übt einen starken Druck aus, die Geschlechtlichkeit entgegen dem Gesetz Christi in einer Weise zu verstehen und zu erleben, die der hl. Paulus das Gesetz der Sünde nennt.(36) Manchmal sind es die wirtschaftlichen Strukturen, die staatlichen Gesetze, die Massenmedien, die Lebensverhältnisse der großen Städte, die den Menschen negativ beeinflussen. Davon nimmt die christliche Erziehung Kenntnis und gibt Wegweisungen, um sich verantwortlich solchen suggestiven Einflüssen zu widersetzen.

Gnadenhilfe

45. Diese ständige Bemühung wird unterstützt und ermöglicht von der göttlichen Gnade, die durch das im Glauben angenommene Wort Gottes, das vertrauensvolle Gebet und durch Teilhabe an den Sakramenten vermittelt wird. Vor allem ist es die Eucharistie, die Gemeinschaft mit dem sich selbst opfernden Christus, in welcher der gläubige Jugendliche wirklich das Brot des Lebens empfängt wie eine «Wegzehrung», um die Hindernisse auf seinem irdischen Lebensweg angehen und überwinden zu können. Das Bußsakrament stärkt durch die ihm eigene Gnade und den Rat bei der geistlichen Führung nicht nur die Fähigkeit zum Widerstand gegen das Böse, sondern auch den Mut, sich vom Fall wieder zu erheben.

Diese Sakramente werden in der kirchlichen Gemeinschaft angeboten und gefeiert. Wer am Leben einer solchen Gemeinschaft teilhat, erhält von den Sakramenten die Kraft, in seinem Stand keusch zu leben.

Inneres Leben ohne allen Moralismus

46. Das persönliche und gemeinsame Gebet ist ein unersetzliches Mittel, von Gott die notwendige Kraft zu erhalten, dem Taufversprechen treu zu bleiben, den Antrieben der von der Sünde verwundeten menschlichen Natur zu widerstehen und die von den negativen Einflüssen der Umwelt ausgelösten Regungen ins Gleichgewicht zu bringen.

Der Geist des Gebets hilft, die evangelischen Werte der Treue und Aufrichtigkeit des Herzens, der Armut und Demut in der täglichen Mühe der Arbeit und des Einsatzes für den Nächsten konsequent in die Praxis umzusetzen. Das innere Gebetsleben führt zur christlichen Freude, die ohne allen Moralismus und über jegliche psychologische Hilfe hinaus den Kampf gegen das Böse gewinnt.

Der häufige und innere Kontakt mit dem Herrn wird allen und besonders der Jugend Kraft und Begeisterung für ein reines Leben geben. So werden sie ihre menschliche und christliche Berufung in ausgeglichener Selbstbeherrschung und hochherziger Hingabe an den anderen verwirklichen.

Die Bedeutung dieser Überlegungen kann niemandem entgehen. In der Tat sind heute viele mehr oder weniger pessimistisch hinsichtlich der Fähigkeit der menschlichen Natur, eine endgültige Bindung für das ganze Leben einzugehen, zumal in der Ehe. Die christliche Erziehung muß das Vertrauen der Jugendlichen stärken, und zwar so, daß ihr Verstehen und ihre Vorbereitung im Hinblick auf eine Bindung für das ganze Leben begleitet sind von der Gewißheit, daß Gott ihnen mit seiner Gnade hilft, damit jeder das zu erreichen imstande ist, was Gott mit ihm vorhat.

Beispiel Christi und Mariens

47. Die von den Heiligen gelebte und weitergegebene Nachahmung Christi und Verbundenheit mit ihm sind die tiefsten Beweggründe für unsere Hoffnung, das hohe Ideal keuschen Lebens zu verwirklichen, welches mit menschlichen Kräften allein unerreichbar ist.

Die Jungfrau Maria ist das herausragende Vorbild christlichen Lebens. Durch jahrhundertelange Erfahrung ist die Kirche davon überzeugt, daß die Gläubigen, besonders die Jugendlichen, die Maria verehren, dieses Ideal zu verwirklichen gewußt haben.

II. 
VERANTWORTLICHKEITEN
BEI DER GESCHLECHTLICHEN ERZIEHUNG 

AUFGABE DER FAMILIE

Erziehung geht vor allem die Familie an 

48. Die Erziehung geht vor allem die Familie als eine «Schule reich entfalteter Humanität» an.(37) In der Tat ist die Familie das beste Umfeld, um der Pflicht, eine stufenweise Erziehung des geschlechtlichen Lebens sicherzustellen, nachzukommen. Sie hat einen Gefühlsreichtum, der geeignet ist, ohne seelische Wunden zu hinterlassen, auch die heikelste Wirklichkeit annehmbar zu machen und sie harmonisch in eine ausgeglichene und reife Persönlichkeit zu integrieren.

Gegenseitiges Vertrauen und Gespräch mit den Kindern 

49. Liebe und gegenseitiges Vertrauen in der Familie fördern die harmonische Entwicklung des Kindes von seiner Geburt an. Damit die natürlichen Gefühlsbeziehungen, die Eltern und Kinder verbinden, sich möglichst positiv auswirken, müssen die Eltern auf der Grundlage klarer geschlechtlicher Ausgeglichenheit eine Vertrauens- und Gesprächsbeziehung zu den Kindern schaffen, die ihrem Alter und ihrer Entwicklung entspricht.

Beispiele der Lebensführung seitens der Erwachsenen

50. Um den Kindern wirksame Orientierungen geben zu können, die sie zur Lösung ihrer Augenblicksprobleme brauchen, müssen die Erwachsenen, noch vor jeglicher Wissensvermittlung, durch ihr Verhalten beispielhaft sein. Die christlichen Eltern müssen wissen, daß ihr Beispiel den wichtigsten Beitrag zur Kindererziehung darstellt. Diese ihrerseits werden so die Gewißheit finden können, daß das christliche Ideal eine im Schoß der Familie gelebte Wirklichkeit ist.

Zusammenarbeit von Eltern und Erziehern 

51. Die offene Zusammenarbeit der Eltern mit den anderen für die Bildung verantwortlichen Erziehern hat einen positiven Einfluß auf die Reifung des jungen Menschen. Die theoretische Vorbereitung und die Erfahrung der Eltern helfen den Kindern, den Wert und die Rolle, die Mann und Frau im täglichen Leben eigen sind, zu verstehen.

Bleibender Einfluß der erlebten Werte auf Eltern und Kinder

52. Die volle Verwirklichung des ehelichen Lebens sowie als deren Folge die Heiligkeit und Festigkeit der Familie hängen von der Gewissensbildung der Eltern und den in ihrem ganzen Bildungsverlauf angeeigneten Werten ab. Die von der Familie wirklich gelebten sittlichen Werte lassen sich den Kindern leichter vermitteln.(38) Unter diesen sittlichen Werten sind von großer Bedeutung die Achtung vor dem Leben vom Mutterleibe an und, ganz allgemein, die Achtung vor der menschlichen Person jeden Alters und in jeglicher Lage. Man muß den Jugendlichen helfen, diese grundlegenden Werte der Existenz zu erkennen, zu schätzen und zu achten.

Wegen der Bedeutung dieser Werte für das christliche Leben sowie auch im Hinblick auf einen göttlichen Ruf an Jugendliche zum Priestertum oder zum geweihten Leben erhält die geschlechtliche Erziehung auch eine kirchliche Dimension.

DIE KIRCHLICHE GEMEINSCHAFT

Kirchliche Dimension der geschlechtlichen Erziehung

53. Als Mutter der Gläubigen, die sie in der Taufe zum Glauben geboren hat, kommt der Kirche auch ein ihr von Christus anvertrauter Erziehungsauftrag zu. Sie erfüllt ihn vor allem durch die Verkündigung, die volle Gemeinschaft mit Gott und den Brüdern sowie in der Möglichkeit bewußter und aktiver Teilnahme an der eucharistischen Liturgie und am Apostolat.(39) Die kirchliche Gemeinschaft bildet von der ersten Öffnung auf das Leben hin jenen Raum, der das Einleben in die christliche Ethik ermöglicht und so die Gläubigen das Zeugnis der Frohbotschaft einüben läßt.

Zusammenarbeit zwischen Familie und kirchlicher Gemeinschaft 

54. In der Familie stößt die geschlechtliche Erziehung häufig auf Schwierigkeiten. Das verlangt einen größeren Einsatz der christlichen Gemeinschaft, insbesondere der Priester, bei der Erziehung der Getauften mitzuhelfen. In diesem Bereich sind zur Unterstützung der Familie die katholische Schule, die Pfarrgemeinde und andere kirchliche Gruppen aufgerufen.

Mitverantwortung der christlichen Gemeinde

55. Aus dem kirchlichen Charakter der Glaubens ergibt sich die Mitverantwortung der christlichen Gemeinde in der Hilfe für die Getauften, die konsequent und bewußt die Taufverpflichtungen leben sollen. Den Bischöfen ist es aufgetragen, den Notwendigkeiten der Einzelkirchen durch geeignete Vorschriften und Hinweise zu entsprechen. 

KATECHESE UND GESCHLECHTLICHE ERZIEHUNG

Die positiven Werte der Geschlechtlichkeit

56. Die Katechese soll fruchtbarer Nährboden für die Erneuerung der ganzen kirchlichen Gemeinschaft sein. Um die Gläubigen zur Reife des Glaubens zu führen, muß sie darum die positiven Werte der Geschlechtlichkeit verdeutlichen und diese im Lichte des Geheimnisses Christi und der Kirche in engstem Zusammenhang mit den Werten der Jungfräulichkeit und der Ehe darstellen.

Diese Katechese sollte unterstreichen, daß die erste Berufung des Christen die Liebe ist und daß sich die Berufung zur Liebe auf zwei unterschiedlichen Wegen verwirklicht: in der Ehe oder in der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen.(40) «Ehe und Jungfräulichkeit sind die beiden Weisen, das eine Geheimnis des Bundes zwischen Gott und seinem Volk darzustellen und zu leben».(41)

Katechese in Übereinstimmung mit dem Lehramt

57. Damit die Familien sicher sein können, daß sich die Katechese nicht gar vom Lehramt der Kirche entfernt, müssen die Hirten sich bei der Auswahl und Vorbereitung des verantwortlichen Personals sowie bei der Bestimmung von Inhalten und Methoden alle Mühe geben.

Einzelerziehung 

58. Nach dem unter Nr. 48 Gesagtem bleibt stets gültig, daß bei intimen Fragen biologischer oder affektiver Natur der Einzelerziehung möglichst im Rahmen der Familie Vorrang gebührt.

Der Familie helfen 

59. Sicherlich kommt der Katechese innerhalb der Familie eine besondere Rolle zu. Sollten sich indes die Eltern nicht in der Lage sehen, ihrer Verpflichtung nachzukommen, können sie sich an andere Personen ihres Vertrauens wenden. Eine kluge, zurückhaltende, dem Alter entsprechende und die Umwelt berücksichtigende Einführung kann den Kindern seelische Wunden ersparen und ihnen die Lösung geschlechtlicher Probleme erleichtern. Bloße Wissensvermittlung kann niemals genügen. Damit alles innerlich wirklich angeeignet wird, wird man die vielfältigen Anlässe des täglichen Lebens nutzen.

VOREHELICHE KATECHESE

Zutreffende Sicht der christlichen Ethik über die Geschlechtlichkeit

60. Ein grundlegender Aspekt in der Vorbereitung der Jugendlichen auf die Ehe liegt darin, ihnen eine zutreffende Sicht der christlichen Ethik über die Geschlechtlichkeit zu vermitteln. Der Vorteil der Katechese bei der Vorbereitung auf die Ehe ergibt sich aus der Möglichkeit, über die Geschlechtlichkeit in unmittelbarem Blick auf die Ehe zu sprechen. Doch um vollen Erfolg zu haben, bedarf diese Katechese entsprechender Weiterführung, so daß sie zum wahren und wirklichen Katechumenat wird. Außerdem soll sie die Keuschheit, die Verlobten eignet, unterstützen und vertiefen sowie auf ein christlich geführtes Eheleben und auf die besondere Aufgabe der Eheleute im Volk Gottes vorbereiten.

Vorbereitung auf die eheliche Keuschheit

61. Die künftigen Ehepartner sollen die tiefe Bedeutung der Ehe kennen, verstanden als Einheit in der Liebe zur Verwirklichung der ehelichen Gemeinschaft und zur Weitergabe des Lebens. Die Festigkeit der Ehe und der ehelichen Liebe verlangt als unerläßliche Bedingung die Keuschheit und die Selbstbeherrschung, die Charakterbildung und den Geist des Opfers. Im Blick auf einige Schwierigkeiten des ehelichen Lebens, die sich unter den Bedingungen unserer Zeit verschärft haben, wird die Keuschheit der Jugendlichen als angemessene Vorbereitung auf die Keuschheit in der Ehe eine entschiedene Hilfe für die Ehepartner sein. Außerdem brauchen sie klare Kenntnisse über die Normen des göttlichen Gesetzes, wie sie vom kirchlichen Lehramt vorgelegt werden und die sie sich bei der Bildung ihres Gewissens vor Augen halten müssen.(42)

Wissen um den Wert der Ehe ...

62. In klarem Wissen um den Wert und Größe des Ehesakramentes, in dem sich für sie die Taufgnade und Taufberufung konkretisiert, sollen die christlichen Eheleute ganz bewußt die Werte und Aufgaben ihres sittlichen Leben als Forderung und Frucht der Gnade und Wirkung des Geistes leben. Sie sind darin «bestärkt und gewissermaßen geweiht durch ein eigenes Sakrament für die Pflichten und die Würde ihres Standes».(43)

... und der mit ihr verbundenen Pflichten

In der Absicht, ihre Geschlechtlichkeit so zu leben, daß sie ihre Verantwortung in Übereinstimmung mit dem Plan Gottes erfüllen,(44) ist es überdies für die Eheleute wichtig, die natürlichen Methoden der Familienplanung zu kennen. Nach den Worten Johannes Paul II. «... ist es nötig, alles zu tun, damit diese Kenntnis allen Eheleuten und in erster Linie den jüngeren zugänglich wird durch klare Information und Erziehung, die frühzeitig und ernsthaft durch Ehepaare, Ärzte und Fachleute zu vermitteln ist ».(45) Es ist jedoch hervorzuheben, daß die heute so nachdrücklich propagierte Empfängnisverhütung im Widerspruch steht zu diesen christlichen Idealen und sittlichen Werten, deren Lehrmeisterin die Kirche ist. Diese Tatsache macht es noch dringender und notwendiger, daß den Jugendlichen im entsprechenden Alter die Lehre der Kirche mitsamt ihren Gründen hinsichtlich den Mitteln der Empfängnisverhütung dargelegt werden, um sie auf ein verantwortliches eheliches Leben vorzubereiten, das ganz von der Liebe getragen und für das Leben offen ist.

ORIENTIERUNG FÜR ERWACHSENE

Gespräch zwischen den Generationen

63. Eine gründliche katechetische Vorbereitung der Erwachsenen über die menschliche Liebe legt die Grundlage für die geschlechtliche Erziehung der Kinder. Nur so wird die Erlangung jener vom Glauben erleuchteten menschlichen Reife gewährleistet, die entscheidend ist für das Gespräch mit der neuen Generation, zu welchem die Erwachsenen berufen sind. Außer Hinweisen und Methoden, die dabei angewandt werden können, wird diese Katechese einen wünschenswerten Gedankenaustausch über besondere Probleme ermöglichen, mit erzieherischen Hilfsmitteln vertraut machen und gegebenenfalls Treffen mit Fachleuten erlauben, deren Mitarbeit in schwierigen Fällen besonders nützlich sein kann.

AUFGABE DER BÜRGERLICHEN GESELLSCHAFT

Sorge um das Gemeinwohl besonders in der Schule ...

64. Der Mensch sollte in der Gesellschaft schon ausdrücklich und gelebt jene Werte vorfinden, die einen nicht nebensächlichen Einfluß auf seinen Bildungsprozeß haben. Deswegen ist es Aufgabe der bürgerlichen Gesellschaft, so weit es um das Gemeinwohl(46) geht, darauf zu achten, daß eine physisch und sittlich gesunde Umgebung in den Schulen gegeben ist und daß jene Bedingungen gefördert werden, die den ausdrücklichen Wünschen der Eltern entsprechen oder von ihnen frei gebilligt werden.

.. und Schutz der öffentlichen Sittlichkeit

65. Aufgabe des Staates ist es, die Bürger gegen sittliche Ungerechtigkeiten und Unordnungen zu schützen, wie Mißbrauch Jugendlicher, jede Form sexueller Gewalt, das Verkommen guter Sitten, die Permissivität, die Pornographie und unsachliche Verwendung bevölkerungspolitischer Informationen.

VERANTWORTUNG IN DER ERZIEHUNG ZUM GEBRAUCH DER 
SOZIALEN KOMMUNIKATIONSMITTEL

Mitprägender Einfluß der Massenmedien

66. In der Welt von heute üben die sozialen Kommunikationsmittel mit der Überfülle ihres suggestiven Angebots auf die Jugend und die Kinder auch und vor allem im Bereich der geschlechtlichen Erziehung durch Information und Belehrung einen ständigen prägenden Einfluß aus, der oft größer ist als jener der eigenen Familie.

Johannes Paul II. hat die Situation beschrieben, in der sich die Kinder angesichts der sozialen Kommunikationsmittel befinden: «Fasziniert und der Welt und den Erwachsenen schutzlos ausgeliefert, sind Kinder von Natur aus bereit, alles anzunehmen, was ihnen geboten wird, mag dies nun gut oder schlecht sein. ... Die Kinder werden vom Bildschirm wie von der Leinwand gefesselt, folgen jeder dargestellten Handlung und erfassen früher und besser als jeder andere die darin ausgedruckten Gefühle und Gemütsbewegungen.(47)

Maßvolle Nutzung der Massenmedien

67. Indes ist darauf zu verweisen, daß die notwendige rechtzeitige Kontrolle infolge der technologischen Entwicklung immer schwieriger wird. Auch im Hinblick auf eine rechte geschlechtliche Erziehung ergibt sich daraus die Dringlichkeit, daß «besonders die Jugendlichen ... sich im Gebrauch dieser sozialen Kommunikationsmittel an Zucht und Maß gewöhnen. Ferner sollen sie sich um ein tieferes Verständnis dessen bemühen, was sie gesehen, gehört oder gelesen haben. Mit Erziehern und Fachleuten mögen sie sich darüber besprechen, um selbst richtig urteilen zu lernen».(48)

Gesundes Urteil im Gebrauch der Medien

68. Zur Verteidigung der Rechte des Kindes in diesem Bereich appelliert Johannes Paul II. an das Gewissen aller verantwortlichen Christen, insbesondere der Eltern und der Mitarbeiter in den sozialen Kommunikationsmitteln, unter dem Anschein von Neutralität und Achtung vor der spontanen Entfaltung des Kindes nicht etwas zu verbergen, was in Wirklichkeit besorgniserregende Interesselosigkeit ist.(49)

Pflichten der öffentlichen Gewalt

«Die öffentliche Gewalt hat hier mit Rücksicht auf das Gemeinwohl ... besondere Verpflichtungen».(50) Es erfordert, daß eine rechtliche Regelung für die sozialen Kommunikationsmittel die öffentliche Sittlichkeit und insbesondere die Jugend schützt, vor allem im Hinblick auf Illustrierte, Filme, Hörfunk- und Fernsehprogramme, Ausstellungen, Theateraufführungen und Werbung.

AUFGABE DER SCHULE IN DER GESCHLECHTLICHEN ERZIEHUNG

Rolle der Schule

69. Unter Wahrung dessen was über die vorrangige Pflicht der Familie gesagt wurde, besteht die Rolle der Schule darin, die Bemühungen der Eltern zu fördern und zu vervollständigen durch Vermittlung einer Sicht der «Geschlechtlichkeit als Wert und Aufgabe der ganzen Person, die als Mann und Frau nach dem Bild Gottes geschaffen wurde».(51)

Gespräch zwischen Erzieher und Schüler

70. Das in der geschlechtlichen Erziehung erforderliche persönliche Gespräch ist darauf ausgerichtet, im Schüler eine innere Bereitschaft zu wecken, die geeignet ist, das Verhalten der Person zu motivieren und zu leiten. Solch eine Haltung ist natürlich eng verknüpft mit den Werten, die sich an der Sichtweise des Lebens orientieren. Die geschlechtliche Erziehung darf nämlich nicht verengt werden auf einen bloßen Unterrichtsgegenstand oder auf rein theoretische Kenntnisse. Sie besteht auch nicht in der Vermittlung eines Programms, das schrittweise zu erfüllen wäre, sondern sie erstrebt die Erreichung eines besonderen Zieles: die affektive Reifung des Schülers sowie die Erlangung der Herrschaft über sich selbst und des rechten Verhaltens in den sozialen Beziehungen.

Gelegenheiten zu Hinweisen in der Gruppe

71. Zur Verwirklichung dieses Zieles kann die Schule in verschiedener Weise beitragen. Alle Unterrichtsfächer können gegebenenfalls Gelegenheit bieten, Themen aufzugreifen, die einen Bezug zur Geschlechtlichkeit haben; der Lehrer wird das immer in positiver Weise und mit großer Behutsamkeit tun, jeweils sorgfältig bedacht auf den geeigneten Augenblick und die rechte Weise.

Individuelle Erziehung

Die geschlechtliche Erziehung des einzelnen hat immer Vorrang und kann nicht unterschiedslos jedem Mitglied des Lehrerkollegiums anvertraut werden, denn neben richtigem Urteil, Verantwortungsbewußtsein, fachlicher Zuständigkeit, affektiver Reife und Schamgefühl verlangt diese Erziehung vom Lehrer, wie nachher weiter ausgeführt wird, auch eine ausgeprägte Feinfühligkeit bei der Einführung des Kindes und des Jugendlichen in Fragen der Liebe und des Lebens, um Störungen seiner seelischen Entwicklung zu vermeiden.

Erziehung in der Gruppe

72. Auch wenn der Erzieher über die nötige Eignung für eine geschlechtliche Erziehung in einer Gruppe verfügt, so ist doch stets die konkrete Situation der Gruppe zu beachten. Das gilt vor allem für gemischte Gruppen, bei denen besondere Vorkehrungen erforderlich sind. In jedem Fall müssen die verantwortlichen Vorgesetzten zusammen mit den Eltern prüfen, ob ein Vorgehen in dieser Weise angebracht ist. Angesichts der Vielfalt der Probleme ist es gut, dem Kind oder Jugendlichen Zeit für persönliche Gespräche anzubieten, um die Möglichkeit zu Fragen um Rat oder Klärung zu fördern, die sonst aus einem natürlichen Schamgefühl heraus in Gegenwart anderer nicht gestellt würden. Nur ein enges Zusammenwirken von Schule und Familie kann einen fruchtbaren Erfahrungsaustausch zwischen Eltern und Lehrern zum Wohl der Schüler gewährleisten.(52)

Es ist Aufgabe der Bischöfe, unter Berücksichtigung der jeweiligen Schulgesetzgebung und örtlichen Verhältnisse Richtlinien über die geschlechtliche Erziehung in Gruppen, vor allem in gemischten Gruppen, zu erlassen.

Beteiligung der Eltern in besonderen Fällen

73. Besondere Vorkommnisse im schulischen Leben können manchmal die rechtzeitige Beteiligung der Eltern erforderlich machen. Entsprechend dem Grundsatz des Zusammenwirkens werden die Verantwortlichen der Schule mit den interessierten Eltern Verbindung aufnehmen, um eine geeignete Lösung zu vereinbaren.

Fachleute für private Gespräche 

74. Besonders geeignete Fachleute, die sich durch Ausgewogenheit auszeichnen und das Vertrauen der Eltern besitzen, können zu privaten Gesprächen mit den Schülern eingeladen werden, um ihnen bei der Entfaltung ihrer affektiven Reifung zu helfen und sie zur Ausgeglichenheit in ihren sozialen Beziehungen zu führen. Solche Bemühungen um persönliche Orientierung sind vor allem in schwierigen Fällen geboten. In besonders ernsten Situationen wird man sich an einen entsprechenden Spezialisten wenden müssen.

Zusammenwirken der Verantwortlichen 

75. Die Bildung und Entfaltung einer harmonischen Persönlichkeit verlangen eine freundliche Atmosphäre, die durch Verständnis, wechselseitiges Vertrauen und Zusammenwirken zwischen den Verantwortlichen entsteht. Das wird erreicht durch gegenseitige Beachtung der besonderen Zuständigkeiten, Aufgaben und Verantwortlichkeiten der verschiedenen Erzieher sowie der Entscheidung über die ihnen jeweils möglichen Maßnahmen.

GEEIGNETES LEHRMATERIAL

Bemühungen um Lehrmaterial 

76. Um eine rechte geschlechtliche Erziehung zu ermöglichen, kann geeignetes Lehrmaterial hilfreich sein. Zur Erstellung solchen Materials ist die Mitwirkung von Fachleuten der Moral- und Pastoraltheologie und Katechetik sowie von katholischen Pädagogen und Psychologen erforderlich. Besondere Sorgfalt gelte dem Material, das für den Gebrauch der Schüler selbst bestimmt ist.

Einige schulische Texte über die Geschlechtlichkeit sind wegen ihres naturalistischen Charakters für das Kind und den Jugendlichen schädlich. Noch schädlicher kann zeichnerisches oder audiovisuelles Material sein, wenn geschlechtliche Wirklichkeiten, auf die der Schüler noch nicht vorbereitet ist, in grober Weise dargestellt werden, so daß er traumatische Schäden davonträgt oder durch Weckung ungesunder Neugier auf den Weg des Bösen gerät. Mit allem Ernst mögen die Erzieher daran denken, daß durch eine unverantwortliche Haltung auf diesem empfindlichen Gebiet den Schülern schwerer Schaden entstehen kann.

JUGENDGRUPPEN 

Wichtigkeit der «Gruppen» 

77. Es gibt in der Erziehung einen nicht zu übersehenden Faktor, der sich zum Wirken der Familie und der Schule hinzugesellt und oftmals einen größeren Einfluß bei der Bildung der Person ausübt: die Jugendgruppen, die sich zur Freizeitbeschäftigung bilden und das Leben des Heranwachsenden und des Jugendlichen stark ausfüllen. Die Humanwissenschaften halten «Gruppen» für eine positive Voraussetzung für die Bildung, da keine Reifung der Persönlichkeit ohne wirksame zwischenmenschliche Beziehung möglich ist.

III. 
VORAUSSETZUNGEN UND WEISEN
DER GESCHLECHTLICHEN ERZIEHUNG

Die Eigenart dieser Erziehung 

78. Die Vielfalt und Eigenart der Aufgabe erfordert eine sorgfältige Vorbereitung der Erzieher, spezifische Eigenschaften für die Erziehung und eine besondere Aufmerksamkeit auf einige Punkte.

DIE VORBEREITUNG DER ERZIEHER

Die Gefühlsreife des Erziehers 

79. Die reife Persönlichkeit der Erzieher, ihre Vorbereitung und ihr seelisches Gleichgewicht üben einen bedeutenden Einfluß auf die zu Erziehenden aus. Eine genaue und umfassende Kenntnis der Bedeutung und des Wertes der Geschlechtlichkeit und eine ausgewogene Integration in die eigene Persönlichkeit sind für die Erzieher unverzichtbar, damit eine aufbauende Erziehungstätigkeit möglich wird. Ihre Befähigung hängt von theoretischen Kenntnissen und ihrer Gefühlsreife ab. Dies befreit aber nicht vom Erwerb wissenschaftlicher Erkenntnisse, welche für ihre Erziehungstätigkeit geeignet sind, die gerade in unseren Tagen besonders schwierig ist. Hier können Begegnungen mit den Familien besonders hilfreich sein.

Über die fachliche Vorbereitung hinaus ...

80. Die den Erzieher auszeichnenden Voraussetzungen sind das Ergebnis einer Allgemeinbildung, die sich auf einer positiven und aufbauenden Lebensauffassung und einem beständigen Bemühen um deren Verwirklichung gründet. Eine solche Ausbildung geht weit über die rein fachlich notwendige Vorbereitung hinaus und berührt die innersten Bereiche der Persönlichkeit, den religiösen und spirituellen eingeschlossen. Der letztgenannte garantiert den Rückgriff sowohl auf christliche Grundprinzipien als auch auf übernatürliche Mittel, die die Erziehungstätigkeit unterstützen müssen.

... eine psychopädagogische Vorbereitung

81. Der Erzieher, der seine Aufgabe außerhalb der Familie wahrnimmt, hat eine geeignete und ernsthafte psychopädagogische Vorbereitung nötig, die es ihm erlaubt, in besondere Situationen einzugreifen, wo eine spezielle Sorge erforderlich ist. So ist er in der Lage, auch die Eltern selbst zu beraten, insbesondere wenn der Junge oder das Mädchen einen Psychologen benötigen.

Skala von Problemfällen

82. Zwischen dem Bereich des Normalen und den pathologischen Fällen gibt es eine Skala von mehr oder weniger ausgeprägten und hartnäckigen Problemfällen, bei denen das Risiko unzureichender Fürsorge besteht, obwohl sie Hilfe wirklich nötig hätten. Bei diesen Fällen geht es zwar auch um medizinische Behandlung, noch mehr aber um eine beständige Unterstützung und Führung durch die Erzieher.

QUALITÄT DER ERZIEHUNGSMETHODEN

Kenntnis der Situation und der entsprechenden Methode

83. Es ist eine klare Einschätzung der Situation notwendig, da die angewandte Methode nicht nur in großem Ausmaß den Erfolg dieser höchst besonderen Erziehung bestimmt, sondern auch die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Verantwortlichen. Tatsächlich beziehen sich die normalerweise erhobenen Kritiken eher auf die von einigen Erziehern angewandten Methoden als auf die Tatsache ihres Eingreifens. Diese Methoden müssen eine bestimmte Qualität haben, sei es in Hinsicht auf den zu Erziehenden als auch bezüglich der Erzieher selbst sowie im Blick auf den Zweck, den eine solche Erziehung erreichen will.

ERFORDERNISSE DES ZU ERZIEHENDEN UND DIE ERZIEHUNGSTÄTIGKEIT

Eine dem einzelnen angepaßte Erziehung

84. Da die affektiv-geschlechtliche Erziehung vor allem vom physischen und psychologischen Entwicklungsstand des zu Erziehenden abhängt, muß sie stets dem einzelnen angepaßt sein. In bestimmten Fällen ist es notwendig, dem Betroffenen zuvorzukommen, indem man ihn auf besonders schwierige, ihm nahende Situationen vorbereitet, oder indem man ihn auf unmittelbar bevorstehende oder fortdauernde Gefahren aufmerksam macht.

Abstufung und ...

85. Es ist jedoch stets der fortschreitende Charakter dieser Erziehung zu beachten. Eine sachgemäße Abstufung der Eingriffe muß die Momente der physischen und psychischen Entwicklung beachten, die eine sorgfältigere Vorbereitung und eine länger dauernde Reifung erfordern. Man muß sich vergewissern, ob der zu Erziehende die dargelegten Werte, Kenntnisse und Motivationen innerlich aufgenommen oder die Veränderungen und Entwicklungen, die er bei sich selbst bemerken konnte und deren Gründe, Beziehungen und Zweck der Erzieher entsprechend aufzeigt, verarbeitet.

QUALITÄT DER ERZIEHERISCHEN MAßNAHMEN

Behutsamkeit der Eingriffe

86. Um einen gültigen Beitrag zur harmonischen und ausgewogenen Erziehung der Jugendlichen zu leisten, müssen die Erzieher ihre Eingriffe entsprechend ihrer besonderen Rolle ordnen. Der Betroffene nimmt die ihm von Seiten der verschiedenen Erzieher gegebenen Informationen und Motivationen weder in der gleichen Weise wahr noch auf, weil sie in unterschiedlicher Weise sein Innerstes berühren. Objektivität und Behutsamkeit müssen solche Eingriffe charakterisieren.

Wahre Informationen

87. Die fortschreitende Information macht Teilerklärungen erforderlich, die aber stets der Wahrheit entsprechen müssen. Die Erklärungen dürfen weder von absichtlichem Verschweigen noch von fehlender Offenheit verzerrt werden. Die Klugheit erfordert jedoch vom Erzieher nicht nur die gebotene Anpassung des Stoffes an die Erwartungen des Betroffenen, sondern auch eine bestimmte Wahl der Sprache, der Art und Weise seines Vorgehens und des Zeitpunktes, zu dem er tätig wird. Sie erfordert ferner, daß man die Scham des Kindes berücksichtigt. Der Erzieher beachte außerdem den Einfluß der Eltern: ihre Sorge für diesen Bereich der Erziehung, den besonderen Charakter der Erziehung in der Familie, ihre Lebensauffassung sowie den Grad ihrer Öffnung gegenüber anderen Erziehungsträgern.

Vertrauen in die Erziehung

88. Es gilt, besonderen Nachdruck auf die menschlichen und christlichen Werte der Geschlechtlichkeit zu legen, damit sie geschätzt werden können und so das Bedürfnis geweckt wird, sie im eigenen Leben und in den Beziehungen zu den anderen zu verwirklichen. Ohne die Schwierigkeiten, die die geschlechtliche Entwicklung mit sich bringt, zu übersehen, aber auch ohne eine Art Besessenheit zu erzeugen, muß der Erzieher dem erzieherischen Bemühen vertrauen: sie kann auf den Widerhall bauen, den die wirklichen Werte bei den Jugendlichen finden, wenn sie mit Überzeugung vorgetragen und vom Zeugnis des eigenen Lebens bestätigt werden.

Ganzheitliche Sicht der Person 

89. Angesichts der Bedeutung der Geschlechtserziehung in der gesamtheitlichen Bildung der Person sollen die Erzieher, indem sie die verschiedenartigen Aspekte der Geschlechtlichkeit und ihren starken Einfluß auf die Gesamtpersönlichkeit beachten, vor allem darum bemüht sein, die Kenntnisse nicht von den entsprechenden Werten zu trennen, die den biologischen, psychologischen und sozialen Informationen Sinn und Richtung verleihen. Wenn sie die sittlichen Normen vorstellen, müssen sie aufzeigen, worin diese ihre Existenzberechtigung finden und welche Werte mit ihnen verbunden sind.

ERZIEHUNG ZUR SCHAMHAFTIGKEIT UND ZUR FREUNDSCHAFT

Achtung vor der Würde der Person 

90. Die Schamhaftigkeit, grundlegender Bestandteil der menschlichen Persönlichkeit, kann auf der Ebene des Sittlichen als das wachsame Bewußtsein angesehen werden, welches die Würde des Menschen und die echte Liebe wahrt. Sie neigt dazu, auf bestimmte Verhaltensweisen zu reagieren und ein Benehmen zu bremsen, welches die Würde der Person verdunkelt. Sie ist ein notwendiges und wirkungsvolles Mittel zur Beherrschung der Instinkte, läßt die echte Liebe wachsen und fügt das affektiv-geschlechtliche Leben harmonisch in das Ganze der Persönlichkeit ein. Die Schamhaftigkeit hat eine große pädagogische Bedeutung und muß deshalb geschätzt werden. Kinder und Jugendliche lernen so, den eigenen Leib als Gabe Gottes, als Glied Christi und als Tempel des Heiligen Geistes zu achten. Sie lernen so, dem Bösen zu widerstehen, das sie umgibt; sie lernen, einen klaren Blick und eine klare Vorstellung zu haben, um in der gefühlsmässigen Begegnung mit anderen Personen eine wahrhaft menschliche Liebe mit all ihrer geistigen Vielfalt zu suchen und zum Ausdruck zu bringen.

Anregende Beispiele der Tugend

91. Zu diesem Zweck muß man ihnen konkrete und anregende Beispiele der Tugend darbieten, die das ästhetische Gefühl entwickeln, den Geschmack für das Schöne in der Natur, der Kunst und im sittlichen Leben wecken und so die Jugend dazu führen, ein Gefüge von sinnenhaften und geistigen Werten in einem aus Glaube und Liebe genährten selbstlosen Bemühen in sich aufzunehmen.

Freundschaft ist mehr als Kameradschaft

92. Die Freundschaft ist der Höhepunkt der gefühlsmäßigen Reifung. Sie unterscheidet sich von der einfachen Kameradschaft durch ihre innere Tiefe, durch eine gegenseitige Mitteilung, die wirkliche Gemeinschaft erlaubt und fördert, durch wechselseitige Großzügigkeit und durch Beständigkeit. Die Erziehung zur Freundschaft kann ein außerordentlich bedeutsamer Faktor für den Aufbau der Persönlichkeit in ihrer individuellen und sozialen Dimension werden.

Bedeutung der Freundschaft für die gefühlsmäßige Reife 

93. Die freundschaftlichen Bindungen zwischen Jugendlichen verschiedenen Geschlechtes tragen mit bei zum gegenseitigen Verstehen und zur gegenseitigen Hochachtung, sofern sie sich im Bereich normaler gefühlsmäßiger Ausdrucksformen bewegen. Wenn sie sich jedoch zur geschlechtlichen Vereinigung hin entwickeln oder darauf hinzielen, verlieren sie die echte Bedeutung gereifter Freundschaft, verfälschen die bestehende Beziehung sowie die Aussichten auf eine mögliche zukünftige Ehe und mindern die Aufmerksamkeit für eine mögliche Berufung zum gottgeweihten Leben.

IV. 
EINIGE EINZELPROBLEME

Voreheliche Beziehungen 

Bei der Erfüllung seines Auftrags kann der Erzieher an Einzelprobleme geraten, die besondere Beachtung verdienen. 

94. Die geschlechtliche Erziehung muß die Jugendlichen dahin führen, sich der verschiedenen Ausdrucksformen und des Dynamismus der Geschlechtlichkeit sowie der zu respektierenden menschlichen Werte bewußt zu werden.

Die wahre Liebe besteht in der Fähigkeit, sich dem Nächsten gegenüber in großherziger Hilfe zu öffnen. Sie besteht in der Hingabe an den anderen zu dessen Wohl, achtet dessen Persönlichkeit und Freiheit, ist nicht egoistisch und sucht auch nicht sich selbst im anderen,(53) ist hingebend und nicht besitzend. Der geschlechtliche Instinkt hingegen, wenn er sich selbst überlassen bleibt, führt zur bloßen leiblichen Vereinigung und versucht, den anderen zu beherrschen, indem man unmittelbar eine persönliche Befriedigung sucht.

Nur in der Ehe sind Intimbeziehungen legitim

95. Nur in der Ehe dürfen sich Intimbeziehungen entwickeln. Denn nur hier bewahrheitet sich die von Gott gewollte untrennbare Verbindung der Sinnfülle von Vereinigung und Fortpflanzung in solchen Beziehungen, die darauf hingeordnet sind, eine endgültige Lebensgemeinschaft zu bilden, zu befestigen und zum Ausdruck zu bringen: «ein Fleisch».(54) Dies geschieht durch die Verwirklichung einer Liebe, die «menschlich», «total» und «fruchtbar» (55) ist, das heißt der ehelichen Liebe. Daher sind geschlechtliche Beziehungen außerhalb der Ehe eine schwere Verirrung, weil sie ausschließlich Ausdrucksform einer Wirklichkeit sind, die noch nicht besteht.(56) Sie sind ein Zeichen, dem in der Lebenswirklichkeit der beiden Personen die objektive Grundlage fehlt, da sie keine endgültige Gemeinschaft bilden mit der erforderlichen Anerkennung und Garantie durch die bürgerliche und, für katholische Eheleute, die religiöse Gesellschaft.

Verworrene geschlechtliche Ausdrucksformen 

96. Unter Heranwachsenden und Jugendlichen verbreiten sich mehr und mehr gewisse geschlechtliche Verhaltensweisen, welche an und für sich zur vollen geschlechtlichen Beziehung führen, ohne daß es jedoch dazu kommt. Solche Formen der Sexualität sind eine sittliche Unordnung, da sie außerhalb des ehelichen Bereichs stattfinden.

Tiefe Werte der Liebe 

97. Die geschlechtliche Erziehung hilft den Heranwachsenden, die tiefen Werte der Liebe zu entdecken sowie zu verstehen, welchen Schaden bloß sexuelle Beziehungen der Reifung ihrer Gefühle zufügen. Allenfalls führen sie zu einer unpersönlichen, bloß instinktiven Begegnung, die oft noch weiter verzerrt wird durch egoistische Reserven und Berechnungen, so daß sie fast nichts vom Charakter einer wahrhaft persönlichen und noch weniger einer endgültigen Beziehung an sich hat. Eine ernsthafte Erziehung führt die Jugendlichen zu Reifung und Selbstbeherrschung als Frucht einer bewußten Wahl und einer persönlichen Anstrengung.

Selbsterotik 

98. Ziel einer echten geschlechtlichen Erziehung ist es, einen beständigen Fortschritt in der Beherrschung der Triebe zu fördern, um sich zu gegebener Zeit einer wahren und hingebungsvollen Liebe öffnen zu können. Da kann sich ein besonders verwickeltes und delikates Problem stellen: die Selbstbefriedigung und deren Rückwirkungen auf das ganzheitliche Reifen der Person. Die Selbstbefriedigung ist nach katholischer Lehre «eine schwere sittliche Verfehlung»,(57) weil allem voran die Geschlechtskraft in einer Weise gebraucht wird, die ihrem inneren Ziel wesentlich widerspricht; sie steht nicht im Dienst der Liebe und des Lebens gemäß dem Plane Gottes.(58)

Ursachen ... 

99. Ein tiefblickender Erzieher und Ratgeber muß sich bemühen, die Ursachen dieser Verirrung festzustellen, um dem Heranwachsenden zu helfen, die Unreife zu überwinden, welche in dieser Gewohnheit liegt. Der Erzieher muß wissen, daß die Selbstbefriedigung und andere Formen der Selbsterotik Zeichen für viel tiefere Probleme sind. Diese führen zu einer geschlechtlichen Spannung, die der Betreffende durch das erwähnte Verhalten zu lösen sucht. Deshalb muß das erzieherische Bemühen mehr auf die Gründe als auf die direkte Unterdrückung solcher Verhaltensweise gerichtet sein.(59)

Auch wenn mit Recht die Selbstbefriedigung als objektiv schwere Verirrung angesehen wird, so ist doch Vorsicht geboten bei der Bewertung der subjektiven Verantwortlichkeit.(60)

Hilfe gegen die Selbsterotik 

100. Um dem Jugendlichen zu helfen, sich in eine Gemeinschaft der Liebe aufgenommen und dem Eingeschlossensein in das eigene Ich entrissen zu fühlen, muß der Erzieher «die Tatsache der Selbstbefriedigung entdramatisieren und nicht nachlassen, dem Betreffenden seine Achtung und sein Wohlwollen zu bezeigen».(61) Er muß ihm helfen, sich sozial einzuordnen, sich anderen gegenüber zu öffnen und sich für sie zu interessieren. So kann sich der Betroffene von dieser Form der Selbsterotik befreien und einer hingebenden Liebe zuwenden, die zu einem gereiften Gefühlsleben gehört. Zugleich soll der Erzieher dazu ermutigen, die von der christlichen Aszese empfohlenen Mittel wie Gebet und Sakramente zu Hilfe zu nehmen und sich in Werken der Gerechtigkeit und der Liebe einzusetzen.

Homosexualität ... 

101. Die Homosexualität, welche die Person am Erreichen der geschlechtlichen Reife sowohl in sich als auch in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen hindert, ist ein Problem, das vom Betreffenden wie vom Erzieher in aller Objektivität aufgegriffen werden muß.

«Sicher muß man sich bei der seelsorglichen Betreuung dieser homosexuellen Menschen mit Verständnis annehmen und sie in der Hoffnung bestärken, ihre persönlichen Schwierigkeiten und ihre soziale Absonderung zu überwinden. Ihre Schuldhaftigkeit wird mit Klugheit beurteilt werden. Es kann aber keine pastorale Methode angewandt werden, die diese Personen moralisch rechtfertigen würde, weil ihre Handlungen als mit ihrer persönlichen Verfassung übereinstimmend erachtet würden.

Nach der objektiven sittlichen Ordnung sind die homosexuellen Beziehungen Handlungen, die ihrer wesentlichen und unerläßlichen Regelung beraubt sind».(62)

... Ursachen 

102. Es ist Aufhabe der Familie und des Erziehers, zunächst die Gründe zu finden, die zur Homosexualität führen, also festzustellen, ob sie im physiologischen oder psychologischen Bereich ihren Ursprung hat, ob sie Folge einer falschen Erziehung oder des Ausbleibens einer normalen geschlechtlichen Entwicklung ist, ob sie einer erworbenen Gewohnheit, schlechtem Beispiel oder anderen Gegebenheiten entspringt.(63) Mehr im einzelnen müssen Familie und Erzieher bei der Suche nach den Ursachen dieser Unordnung den Urteilskriterien des kirchlichen Lehramtes Rechnung tragen und die Erkenntnisse nutzen, die verschiedene Wissenschaften anzubieten vermögen. In der Tat haben sie Dinge unterschiedlichster Art zu bewerten: Gefühlsmangel, Unreife, Triebbesessenheit, Verführung, gesellschaftliche Isolierung, Sittenverfall, Freizügigkeit im Schaugeschäft und im Schrifttum. Letztlich steht jedoch hinter allem die dem Menschen als Folge der Erbsünde angeborene Schwäche, die zum Verlust des Gespürs für Gott und den Mitmenschen führen und Auswirkungen im Bereich des Geschlechtlichen haben kann.(64)

Angebot wirksamer Hilfe notwendig 

103. Sind die Ursachen gefunden und verstanden, werden Familie und Erzieher eine wirksame Hilfe zum ganzheitlichen Wachstumsprozeß anbieten, indem sie Verständnis entgegenbringen, eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen, Mut machen zur Befreiung von sich selbst und zum Voranschreiten in der Selbstbeherrschung, ein echtes sittliches Streben nach Umkehr zur Liebe zu Gott und zum Nächsten fördern und, falls nötig, die Mithilfe eines Arztes oder Psychologen anraten, der die Lehre der Kirche kennt und respektiert.

Rauschgift und geschlechtliche Unordnung 

104. Eine permissive Gesellschaft, die keine gültigen Werte bietet, auf die man das Leben gründen kann, begünstigt entfremdende Fluchterscheinungen, denen in besonderer Weise die Jugendlichen ausgesetzt sind. Mit ihren idealistischen Vorstellungen stoßen sie sich an der rauhen Wirklichkeit des Lebens und geraten so in Spannungen, die bei Mangel an Willenskraft zur selbstzerstörischen Flucht ins Rauschgift verleiten können.

Dieses Problem wird immer ernster und nimmt für den Erzieher dramatische Formen an. Einige psychotropische Substanzen steigern die Empfindlichkeit für die geschlechtliche Lust und schwächen im allgemeinen die Fähigkeit zur Selbstkontrolle und damit zur Abwehr. Der längere Mißbrauch mit Rauschgift führt zur physischen und psychischen Selbstzerstörung. Rauschgift, mißverstandene Freiheit und geschlechtliche Unordnung finden sich oft zusammen. Die psychologische Situation und das zwischenmenschliche Klima der Selbstisolierung, der Verlassenheit und der Rebellion, in dem die Rauschgiftsüchtigen leben, schaffen Bedingungen, die leicht zum Mißbrauch des Geschlechtlichen führen.

Umerziehung und Vorbeugen 

105. Die Umerziehung, die eine tiefgehende innere und äußere Änderung der Person erfordert, ist mühsam und lange, da sie helfen muß, die Persönlichkeit und ihre Beziehungen zur Welt der Menschen und der Werte neu aufzubauen. Wirksamer ist die vorbeugende erzieherische Tätigkeit. Sie trachtet danach, tiefgehende Mängel im Bereich des Gefühlslebens zu vermeiden. Liebe und Umsicht erziehen zur Wertschätzung und Achtung der Würde des Lebens, des Leibes, des Geschlechtlichen und der Gesundheit. Die bürgerliche und die christliche Gemeinde muß es verstehen, rechtzeitig einzugehen auf Jugendliche, die auf Abwege geraten, allein und unsicher sind, und ihnen zu helfen, durch Studium und Arbeit sich gesellschaftlich einzufügen; sie wird ihnen Möglichkeiten der Freizeitbeschäftigung erschließen, indem sie ihnen heilen Raum für Begegnung, für Muße und aktive Einsätze schafft und ihnen Gelegenheit bietet für neue zwischenmenschliche Beziehungen der Freundschaft und Solidarität.

In besonderer Weise kommt dem Sport, wenn er im Dienste des Menschen steht, hoher erzieherischer Wert zu, und zwar nicht nur zur Beherrschung des Körpers, sondern auch als Gelegenheit zu gesunder Entspannung, bei der sich der Mensch darauf einübt, seinem Egoismus zu entsagen und sich mit anderen zu messen. Nur eine Freiheit, die echt und in einem Prozeß der Erziehung geleitet und gefördert worden ist, bietet Schutz gegen die illusorischen Freiheiten des Rauschgiftes und des Geschlechtlichen.

SCHLUß 

Dringlichkeit der Geschlechtserziehung 

106. Aus den vorausgehenden Überlegungen geht hervor, wie dringend es in der gegenwärtigen gesellschaftlich-kulturellen Lage ist, den Kindern, den Heranwachsenden und Jugendlichen unter Berücksichtigung der vom Konzil gegebenen Richtlinien eine positiv ausgerichtete, stufenweise Erziehung auf affektivem und geschlechtlichem Gebiet zu geben. Schweigen auf diesem Gebiet kann nie Verhaltensnorm sein, vor allem wenn man an die zahlreichen «geheimen Verführer» denkt, die sich einer einschmeichelnden Sprache bedienen. Ihr Einfluß ist heute nicht mehr zu leugnen. Daher ist es Aufgabe der Eltern, nicht nur darum besorgt zu sein, die durch unglückliche und abträgliche Einflüsse verursachten Schäden wiedergutzumachen, sondern vor allem die eigenen Kinder durch eine positive, überzeugende Erziehung gebührend vorzubereiten.

Vorrangige Pflicht der Eltern 

107. Die Verteidigung der fundamentalen Rechte des Kindes und des Heranwachsenden auf eine harmonische und ganzheitliche Entwicklung der Persönlichkeit, die der Würde der Gotteskindschaft Rechnung trägt, ist in erster Linie Sache der Eltern. Das personale Reifen erfordert nämlich eine Kontinuität im Erziehungsprozeß; dieser muß durch das Liebes- und Vertrauensverhältnis, das dem Familienbereich eigen ist, gewährleistet sein.

Rechte und Pflichten der Kirche 
Beitrag der Schule...
... im Einklang mit der Familie 

108. In Erfüllung ihres Auftrages hat die Kirche die Pflicht und das Recht, für die sittliche Erziehung der Getauften zu sorgen. Was die Schule im Bereich der Erziehung insgesamt,  besonders aber auf diesem so heiklen Gebiet unternimmt, muß im Einklang mit der Familie geschehen. Auf Seiten der Erzieher und aller, die direkt oder indirekt mitwirken, setzt dies voraus, daß sie die richtige Auffassung vom Ziel ihres Tuns haben und vorbereitet sind, dieses Problem mit Sorgfalt und vertrauensvollem Optimismus anzugehen.

Individuelle Erziehung 

109. Damit Aufklärung und Erziehung im affektiv-geschlechtlichen Bereich wirksam seien, müssen sie rechtzeitig und klug, mit angemessenen Formulierungen und möglichst individuell erfolgen. Der Erfolg dieser Erziehung wird zum größten Teil davon abhängen, wie der Erzieher die Werte des Lebens und der Liebe darzustellen versteht.

Erziehung im Lichts des Glaubens 

110. Der christliche Erzieher, seien es Vater oder Mutter, Lehrer, Priester oder wer immer diesbezüglich verantwortlich ist, kann vor allem heute versucht sein, diese Aufgabe, die auf Seiten des Erziehers so viel an Feingefühl, Unterscheidungsvermögen, Geduld und Mut, aber auch auf Seiten des zu Erziehenden viel guten Willen erfordert, auf andere abzuwälzen. Daher ist es notwendig, zum Abschluß nochmals festzustellen, daß Erziehen für einen Christen vor allem ein Handeln aus dem Glauben und im Vertrauen auf die Gnade ist: jeder Aspekt der geschlechtlichen Erziehung richtet sich nämlich am Glauben aus und schöpft aus ihm und aus der Gnade die unentbehrliche Kraft. Der Brief des hl. Paulus an die Galater reiht die Selbstbeherrschung und die Mäßigung unter die Gaben ein, die der Geist und nur Er im gläubigen Menschen wirken kann. Gott ist es, der Licht gibt, und Gott ist es, der die ausreichende Kraft schenkt.(65)

Einladung an die Bischofskonferenzen

111. Die Kongregation für das katholische Bildungswesen wendet sich an die Bischofskonferenzen mit der Bitte, sie möchten das Zusammenwirken zwischen Eltern, christlichen Gemeinden und Erziehern fördern im Hinblick auf ein gemeinsames Handeln in einem für die Zukunft der Jugendlichen und für das Wohl der Gesellschaft so bedeutenden Bereich. Sie lädt dazu ein, diese Erziehungsaufgabe in gegenseitigem Vertrauen und unter höchstmöglicher Achtung der jeweiligen Rechte und Zuständigkeiten zu übernehmen, um eine durchgreifende und umfassende christliche Erziehung zu erreichen.

Rom, 1. November 1983, am Fest Allerheiligen.

WILLIAM Kardinal Baum
Präfekt

Antonio M. Javierre, Sekretär 
Titularerzbischof von Meta

 


(1) 2. Vat. Konzil: Erklärung über die christliche Erziehung, Gravissimum educationis, Nr. 1.

(2) Ebd.

(3) Kongregation für die Glaubenslehre: Erklärung über einige Fragen der Sexualethik, Persona humana, 29. Dezember 1975, AAS 68 (1976), S. 77, Nr. 1.

(4) Vgl. Johannes, Paul II. Apostol. Schreiben Familiaris consortio, 22. November 1981, AAS 74. (1982), S. 128, Nr. 37 ; vgl. auch unten Nr. 16.

(5) Pius XI. erklärte in seiner Enzyklika Divini illius Magistri vom 31. Dezember 1929 eine geschlechtliche Erziehung, wie sie zu seiner Zeit gehandhabt wurde, nämlich als frühzeitig und unterschiedslos erteilte naturalistische Information, für verfehlt (AAS 22 (1930) SS. 49-86). 

Aus dieser Sicht muß man das Dekret des Hl. Offiziums vom 21. März 1931 lesen (AAS 23 (1931) SS. 118-119). Doch Pius XI. zog die Möglichkeit einer positiven Geschlechtserziehung des einzelnen «durch diejenigen» in Betracht, «die von Gott den erzieherischen Auftrag und die Gnade des Standes erhalten haben» (AAS 22 (1930) S. 71). 

Dieser positive Wert der Geschlechtserziehung, auf den Pius XI. hingewiesen hatte, wurde von den nachfolgenden Päpsten schrittweise entwickelt. Pius XII. bestimmt in seiner Ansprache an den V. Internationalen Kongreß für klinische Psychotherapie und Psychologie am 13. April 1953 (AAS 45 (1953) SS. 278-286) und in der Rede vor den italienischen Frauen der Katholischen Aktion am 26. Oktober 1941 (AAS 33 (1941) SS. 450-458) sehr klar, wie die geschlechtliche Erziehung im Rahmen der Familie durchgeführt werden solle (vgl. auch Pius XII. an die Karmeliter: (AAS 43 (1951) SS. 734-738) an französische Eltern: (AAS 43 (1951) SS. 730-734). Das Lehramt Pius XII. bereitet den Weg für die Konzilserklärung Gravissimum educationis vor.

(6) Vgl. Gravissimum educationis, Nr. 1

(7) Ebd.

(8) Vgl. 2. Vat. Konzil: Konstitution über die Kirche in der Welt von heute, Gaudium et spes, Nr. 49.

(9) Vgl. Gravissimum educationis, Nr. 5.

(10) Ebd., Nr. 3; vgl. Gaudium et spes, Nr. 52. 

(11) Familiaris consortio, Nr. 37.

(12) Familiaris consortio, Nr. 37. 

(13) Ebd.

(14) Ebd.

(15) Familiaris consortio, Nr. 37.

(16) Gaudium et spes, Nr. 11.

(17) Johannes Paul II: Generalaudienz am 14. November 1979, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, II-2 (1979), S. 1156, Nr. 4. (deutsch: Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 9. Jg., Nr. 47, 23.11.1979, SS. 1-2).

(18) Johannes Paul II: Generalaudienz am 9. Januar 1980, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, III-I (1980), S. 90, Nr. 4. (deutsch: Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 10. Jg., Nr. 3, 18. 1. 1980, SS. 1-2).

(19) Johannes Paul II: Generalaudienz am 20. Februar 1980, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, III-I (1980), S. 430, Nr. 4 (deutsch: Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 10. Jg., Nr. 9, 29.2.1980, S. 2).

(20) Johannes Paul II.: Generalaudienz am 9. Januar 1980, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, III-I (1980), S. 90, Nr. 4 (deutsch: Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 10. Jg., Nr. 3, 18.1.1980, SS. 1-2).

(21) «Aus der Tiefe jener ursprünglichen Einsamkeit steigt der Mensch nun auf zur Dimension des gegenseitigen Sich-Schenkens, dessen Ausdruck - und daher auch dessen Ausdruck als Person - der menschliche Leib in der ganzen ursprünglichen Wahrheit seiner Männlichkeit und Weiblichkeit ist. Der Leib, der die Weiblichkeit für die Männlichkeit und umgekehrt die Männlichkeit für die Weiblichkeit zum Ausdruck bringt, bekundet die Gegenseitigkeit und Gemeinschaft der Person. Er bringt sie durch das Sich-Schenken als das grundlegende Merkmal der personalen Existenz zum Ausdruck» Ebd.

(22) Vgl. Johannes Paul II: Generalaudienz am 26. März 1980, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, III-I (1980), SS. 737-741 (deutsch: Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 10. Jg., Nr. 14-15, 4.4.1980, S. 2).

(23) Gaudium et spes, Nr. 49.

(24) Ebd., Nr. 12.

(25) Gaudium et spes, wo die soziale Bedeutung von Gen. 1, 27 erläutert wird.

(26) Ebd., NNr. 47-52

(27) Johannes Paul II: Generalaudienz am 20. Februar 1980, Insegnamenti di Giovanni Paolo II, III-I (1980), S. 429, Nr. 2 (deutsch: L'Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 10. Jg., Nr. 9, 29.2. 1980, S. I) .

(28) Gaudium et spes, Nr. 22.

(29) Vgl. Eph 4, 13.

(30) Vgl. Mt 19, 3-12.

(31) Vgl. I Kor 7, 32-34.

(32) Ebd., 13, 4-8; vgl. Familiaris consortio, Nr. 16.

(33) Vgl. 2. Vat. Konzil: Dogmatische Konstitution über die Kirche, Lumen gentium, Nr. 39.

(34) Kongregation für das katholische Bildungswesen: Leitgedanken für die Erziehung zum priesterlichen Zölibat, II. April 1974, Nr. 22.

(35) Vgl. 1 Kor 6, 15. 19-20.

(36) Vgl. Röm 7, 18-23.

(37) Gaudium et spes, Nr. 52; vgl. Familiaris consortio, Nr. 37.

(38) Vgl. Familiaris consortio, Nr. 37.

(39) Vgl. Gravissimum educationis, Nr. 3-4.; vgl. Pius XI, Divini illius Magistri: AAS 22 (1930), S 53 f, 56 f.

(40) Vgl. Familiaris consortio, Nr. 11.

(41) Ebd., Nr. 16.

(42) Vgl. Paul VI, Enzyklika Humanae vitae, 25. Juli 1968, AAS 60 (1968), S. 493 ff., Nr. 17 ff.

(43) Gaudium et spes, Nr. 48.

(44) Vgl. Humanae vitae, Nr. 10.

(45) Familiaris consortio, Nr. 33. Bezüglich der heute weit verbreiteten Werbung für Empfängnisverhütung, vgl. Humanae vitae, NNr. 14-17.

(46) vgl. Gaudium et spes, Nr. 26; vgl. Humanae vitae, Nr. 23.

(47) Johannes Paul II: Botschaft zum 13. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel, 23. Mai 1979, AAS 71 (1979-II) S. 930. (deutsch: L'Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 9. Jg., Nr. 21, 25.5.1979, S. I).

(48) 2. Vat. Konzil: Dekret über die sozialen Kommunikationsmittel, Inter mirifica, Nr. 10; vgl. Päpstliche Kommission für die sozialen Kommunikationsmittel: Pastoralinstruktion Communio et progressio, AAS 63 (1971) S. 619, Nr. 68.

(49) Vgl. Johannes Paul II: Botschaft zum 13. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel, 23. Mai 1979, AAS 71 (1979-II), SS. 930-933 (deutsch: L'Oss. Rom., deutsche Ausgabe, 9. Jg., Nr. 21, 25.5. 1979, S. I).

(50) Inter mirifica, Nr. 12.

(51) Familiaris consortio, Nr. 32.

(52) Vgl. oben Nr. 58.

(53) Vgl. 1 Kor 13,5.

(54) Mt 19,5.

(55) Humanae Vitae, AAS 60 (1968), S. 486, Nr. 9.

(56) Vgl. Persona humana, AAS 68 (1976), S. 82, Nr. 7.

(57) Ebd., SS. 85-87, Nr. 9.

(58) Ebd.

(59) Ebd.

(60) Ebd.

(61) Leitgedanken für die Erziehung zum priesterlichen Zölibat, Nr. 63.

(62) Vgl. Persona humana, AAS 68 (1976), SS. 84-85, Nr. 8.

(63) Vgl. ebd.

(64) Vgl. Röm 1, 26-28; vgl. auch Persona humana, AAS 68 (1976), Nr. 9.

(65) Vgl. Gal 5. 22-24.

 

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