Sinn meines in vielerlei Hinsicht ergänzungsbedürftigen Kommentars zur innenpolitischen und innerkirchlichen Bewertung des ermordeten Bundeskanzlers Dr. Engelbert Dollfuß (1892 - 1934) ist nicht primär eine "Einmischung" in tagespolitische Fragen. Nichts desto trotz haben die Bemerkungen des FPÖ Parteiobmannes Heinz-Christian Strache so manchen politisch nicht gut informierten Katholiken in Österreich vielleicht die Augen geöffnet. Auch wenn Strache seinen Kommentar zum ermordeten Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß im Rahmen seiner Bemühungen zur Selbstverteidigung eingesetzt hat, so scheinen die Bemerkungen doch seine eigene ideologische Sichtweise und möglicherweise den Blickwinkel großer Teile seiner Partei widerzuspiegeln, die im Sinne eines vor dem Einmarsch Adolf Hitlers in Österreich versuchten und katholisch verstandenen
Staats- und Gesellschaftsexperiments kritisch hinterfragt werden müssen. Glaubt man dem ORF, so empörte den FPÖ-Parteiobmann, daß im ÖVP-Parlamentsklub noch immer das Bild von Engelbert Dollfuß hänge, "
von einem Faschisten, einem, der den Austrofaschismus in dieser Republik gelebt hat." Das sei eine Doppelbödigkeit, bei der die ÖVP einen Trennstrich ziehen sollte.
Sogar die stellvertretende SPÖ-Parteiobfrau und Nationalratspräsidentin Mag. Barbara Prammer stellte gegenüber der "Presse" fest, daß sie es für inakzeptabel hielte, wenn der Nationalsozialismus mit der Dollfuß-Diktatur oder dem Kommunismus verglichen würde. Und Andreas Unterberger brachte es in der "Wiener Zeitung" auf den Punkt: "
Also, jetzt hat uns H. C. Strache endlich die Zeitgeschichte erklärt. Jetzt wissen wir, daß Engelbert Dollfuß 'unter jeder Kritik' gewesen sei. Deswegen, so ist daraus wohl klar zu schließen, waren die österreichischen Nazis offenbar auch völlig im Recht, als sie diesen Untermenschen (übrigens als erstes ihrer Opfer hierzulande) ermordet hatten. Aber waren diese Nazis nicht dieselben, von denen sich Strache in seiner 50minütigen Rechtfertigungs-Suada zu distanzieren versucht hat? Und begreift er nicht, daß jeder, nur nicht er in seiner jetzigen Lage, kritisch über Dollfuß sprechen sollte?"
Eine wie auch immer geartete Geschichtsaufarbeitung ist diesbezüglich offenbar und paradoxerweise weder innenpolitisch noch innerkirchlich (vgl. auch den
aktuellen Fall der St. Pöltner
Prandtauerkirche) besonders gefragt. Immerhin unterstrich der Heiligenkreuzer Abt Gregor Henckel-Donnersmarck
zum 70. Jahrestag der Ermordung des Bundeskanzlers, daß Dollfuß das Spannungsverhältnis von Autorität und Demokratie in einer Weise lösen hätte wollen, die nicht akzeptabel gewesen wäre. Der Abt erwähnte auch den Schatten der von Dollfuß zu verantwortenden Todesurteile gegen sozialdemokratische "Schutzbündler" im Bürgerkrieg vom Februar 1934. Zugleich müsse man aber feststellen, daß Dollfuß ein "
ehrliches Anliegen" vertreten hätte, daß er die soziale Not überwinden hätte wollen und als "
Märtyrer gegen die verbrecherische Narretei des Nationalsozialismus" gestorben wäre.
Abt Gregor erinnerte in diesem Zusammenhang daran, daß Dollfuß und den Seinen keine Beteiligung am "
blutigen Antisemitismus, der schlimmsten Verirrung des 20. Jahrhunderts" angelastet werden könnte. Christoph Kardinal Schönborn hätte zehn Jahre zuvor bei der Heiligen Gedenkmesse zum 60. Todestag des Kanzlers auf die positive Würdigung von Dollfuß aus jüdischer Sicht verwiesen. Eindringlich appellierte daher der Heiligenkreuzer Abt: "
Seien wir keine Besserwisser; beten wir für alle, die Verantwortung tragen". Heute gehe es darum, "
im Wissen um die Geschichte" versöhnt in die Zukunft zu gehen. Diese bemüht sachliche Bewertung des Bundeskanzlers würde man sich von allen Hirten der Kirche in Österreich wünschen. Dann ist es nämlich kaum noch einsichtig, weshalb es keine Dollfuß-Gedächtniskirche oder keine mit konkreten Kirchen und deren Geschichte verbundenen Dollfußtafeln oder -bilder mehr geben dürfte. Dies alles war und ist ja keine quasi-amtliche Seligsprechung, sondern bedeutete vielmehr den Aufruf, für die Seele dieses Staatsmannes zu beten und sein Werk weder zu glorifizieren noch zu verdammen.
Offenbar herrscht noch heute Unkenntnis über die Ziele des ermordeten Bundeskanzlers Dr. Engelbert Dollfuß, nicht nur bei der ideologischen Rechten und Linken. Das Bündnis Dollfuß' mit jenen Kräften, die gerne eine Austro-Version des Italofaschismus gehabt hätten, war ein reines Zweckbündnis, um den Abwehrkampf gegen den Nationalsozialismus und gegen drohende linksrevolutionäre Umsturztendenzen besser bestehen zu können. Dollfuß selbst war wesentlich stärker von der sozialrealistischen Schule Johannes Messners beeinflußt und von dessen Gedanken zur
berufständischen Ordnung mit demokratischen Aufbau- und Beratungsprinzipien. Der Begriff "Ständestaat" findet sich in der Maiverfassung 1934 nicht. Auch dies zeigt, daß die falsche Stände-Ideologie Othmar Spanns weniger Einfluß hatte als der Sozialrealismus des weltweit anerkannten katholischen Priesters und Sozialwissenschaftlers
Johannes Messner (1891 - 1984). Am 30. April 1934
vertrat Johannes Messner den Bundeskanzler sogar persönlich auf der katholisch-sozialen Tagung des Volksbundes in Wien, um mit dem Referat "
Der Staatswille des katholischen Österreich" die Interpretation der Gedanken des Kanzlers zu übernehmen. Das nachweisliche Ziel Dollfuß' und Messners war die bestmögliche Realisierung der gesellschaftlichen Ordnungsprinzipien der Päpstlichen Sozialenzyklika "
Quadragesimo anno".
Dieser Staatswille - so Messner damals - verfalle nicht in das Extrem, alle Freiheit für nichtig zu erklären. Weil er sich selbst als lebendige Gemeinschaft verstehen müsse, "
gibt er seinen Bürgern auch das Recht der Mitwirkung und Mitbestimmung im Gemeinwesen, soweit es mit der Ordnung und dem Wohle des Ganzen vereinbar ist (...) Was ist nun der katholische Staat? Wir antworten, es ist der Staat des christlichen Naturrechtes, so wie dieses gemäß der katholischen Lehre von der Schöpfung und Erlösung zu verstehen ist." Mit Klerikalismus habe er nichts zu tun. "
Etwas ganz anderes ist es, daß er der Kirche das ihr vom liberalen Staate vorenthaltene Eigenrecht wieder voll einräumt, ja sich ihrer Hilfe in der Verwirklichung seiner Aufgaben versichert, im Bewußtsein, daß die religiös-sittlichen Kräfte der beste Teil seines Fundamentes sind (...) Wohl aber wird im katholischen Staate, weil sein Volk fast zur Gänze katholisch ist, der öffentliche religiöse Kult, zu dem auch der Staat kraft Naturrechtes verpflichtet ist, der der katholischen Kirche sein". Nur dem könne der katholische Staatsgedanke zu klein sein, "
der den Staat oder die Nation vergötzen will."
Kurze Zeit später verfaßte Johannes Messner ein
umfassendes Buch über den ermordeten Kanzler (Vorwort aus dem Oktober 1934), welches kürzlich in englischer Sprache neu aufgelegt wurde (
Dollfuss: An Austrian Patriot. With an Introduction by Dr. John Zmirak and a Foreword by Dr. Alice von Hildebrand,
IHS Press, Norfolk 2003, ISBN 0-9718286-5-2). Er war sich damals klar, daß nach so kurzer Zeit keine umfassende geschichtliche Darstellung oder ein eigentliches Lebensbild gelingen könnte. Das Buch kann trotz aller spürbaren Begeisterung Messners für seinen politischen Freund Dollfuß dazu dienen, Ungerechtigkeiten bei der Beurteilung des Willens Dollfuß' zu beheben: "
Daher war Kanzler Dollfuß ein Gegner der Gewalt. Er hätte sie in ganz anderem Maße zur Verfügung gehabt, als er sie anwandte. Und viele seiner Freunde konnten es schwer verstehen, daß er nicht in höherem Maße davon Gebrauch machte. Jedoch ihm war klar, daß Führung und Gewalt geradezu in einem Gegensatz stehen und daß die besten Kräfte nur wachgerufen sind, wenn sie der inneren Bereitschaft entspringen, zu den gewiesenen Zielen zu folgen. Nie dachte er darum an einen Kampf gegen Menschen, immer ging es ihm nur um den Sieg der Ideen, auf denen er die Zukunft seines Vaterlandes beruhend sah". Nicht nur deshalb ist es äußerst fraglich, ob Dr. Dollfuß jemals als "Austrofaschist" bezeichnet hätte werden dürfen.
Abschließend sei mir daher folgende Bitte gestattet: die Katholische Kirche in Österreich möge in der Frage des ermordeten Bundeskanzlers Dollfuß eine gemeinsame historisch-kritische Linie finden. Entweder ist es in allen Diözesen und somit im kirchlichen Raum legitim möglich, eine Dollfuß-Gedächtniskirche, Dollfuß-Gedenktafeln und Dollfuß-Bilder zu besitzen, zu pflegen und zu nutzen, oder es kann solches nirgendwo mehr toleriert werden. Die Zeit ist gekommen, jener Versöhnung nachzugehen, zu der Abt Gregor von Heiligenkreuz vor mehr als zwei Jahren aufgerufen hatte. Persönlich meine ich, daß es kein Widerspruch ist, Kirchen und Bilder zu besitzen, die den von Nationalsozialisten ermordeten Bundeskanzler ins Gedächtnis rufen und andererseits eine differenziert-kritische Sicht seiner Wirkungszeit zu vertreten. Bequem-opportunistisches Zurückweichen jedoch - einfach auf unsachlichen Zuruf hin - spricht weder für die wissenschaftliche Kenntnis der damaligen Zeit noch für die Ernstnahme der ehrlichen Vorsätze des nachweislich als Katholik verstorbenen Bundeskanzlers. Wer jedoch für die Entfernung sämtlicher Dollfußgedenkstätten plädiert, kann nicht gleichzeitig die kirchliche
Seligsprechung Johannes Messners befürworten.
Vielleicht kann in dieser ganzen Frage der selige Staatsmann Kaiser Karl I. von Österreich ein besonderer Fürsprecher sein. Euer
Padre Alex - Vizeoffizial Mag. Mag. Dr. Alexander Pytlik
www.padre.at