Einkehransprache für Ordensschwestern in Wien, 2. Oktober 1994
(orientiert nach Univ.-Prof. Dr. Heinrich Reinhardt)

Themen: Der heilige Mensch - was sind Dienst und Demut?

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(Padre Alex)


Ehrwürdige Mutter Oberin, ehrwürdige Schwestern!

In kurzer Besinnung wollen wir uns vor Augen führen, was 1. den oder einen heiligen Menschen kennzeichnet und 2. was Dienst und Demut zu bedeuten haben.

1. Was kennzeichnet einen heiligen Menschen?

Wer ist eine Heilige oder ein Heiliger? Die Heilige ist ein Mensch mit zwei Eigenschaften: sie erhält sich ihre natürliche Begeisterungsfähigkeit das ganze Leben hindurch und kann deshalb außergewöhnlich gut hinhören, wie ein Kind staunen, wie eine Verliebte danken und wie eine Mutter sich selbstlos zurücknehmen; und andererseits (zweitens) ist sie nüchtern und entscheidet sich grundsätzlich für das Wichtigere gegenüber dem Unwichtigen. Beide Eigenschaften setzen einen gesund erzogenen Willen voraus. Beide setzen auch eine normale geistig-sittliche Urteilskraft voraus und eine durchschnittliche Wahrnehmungs- und Entdeckerfreude, die bewirkt, daß das Wichtigere tatsächlich erkannt und mit all seinen Vorzügen im Gedächtnis bleibt. Im Grunde kommt aber doch alles, was die Heilige ausmacht, auf den Willen zurück: den Willen, hinzuhören und sich weiterhin selbstlos zurückzunehmen, sowie den Willen, die objektive Schöpferordnung klar und eindeutig zu sehen. Eben dieser Wille zur geduldigen Übung des Wichtigeren und zur Sympathie und Hilfsbereitschaft für alles Geistigere - mit einem Wort: die (positiv) wertorientierte Selbstdisziplin oder Askese ist die bestimmende Haltung, an der man die Heilige jederzeit erkannt hat und so auch heute erkennt.

Dies mag insofern erstaunlich klingen, da wir den Namen Christi nicht einmal erwähnt haben. Ist nicht die Heilige zu allererst dadurch bestimmt, daß sie Christus verpflichtet ist, Christus liebt und nachahmt und immerfort meditiert? Besagt nicht die ostkirchliche Tradition, daß nichts so sicher in die Heiligkeit hineinführt wie das immerwährende Jesusgebet? Das alles trifft zu; und doch war es richtig, den Heiligen zunächst mit allgemein einsehbaren Beobachtungen zu beschreiben. Denn es gibt tausend Arten, sich Christus verpflichtet zu wissen, ihn zu lieben, nachzuahmen und immerfort zu loben. Es gibt letztlich ebensoviele Arten, dies zu tun, wie es Menschen gibt, die sich die Heiligkeit erwerben.

Und dennoch entscheidet sich an Christus für die Heilige alles. Um seinetwillen bewegt, schult und übt sie ihren Willen. Um Christi willen verzichtet sie auf viele angenehme Seiten des Lebens. Um der Ehre Gottes willen geht sie oft sehr einsame Wege mit Christus. Hier liegt das innerste Motiv des heiligen Lebens und Sterbens.

Am deutlichsten sehen wir dieses großherzige und nur scheinbar mühelose Wegschenken eigener Ansprüche in der Verwirklichung der drei Evangelischen Räte: Armut, Keuschheit und Gehorsam, die Ihnen zum führenden Lebensprinzip geworden sind.

Freiwillige Armut macht verfügbar für Gottes Geschenke und macht demütig.

Freiwillig und aus Überzeugung übernommene Keuschheit macht vom innersten Personkern heraus heiter und leicht. Überall ist Keuschheit der Schlüssel zur menschlichen Güte. Das Gegenteil von Keuschheit ist bekanntlich Begierde, und diese flößt dem Herzen Ungeduld, Schwere und Rücksichtslosigkeit ein. Zwischen Güte und Begierde gibt es keine Brücke - entweder Güte und damit wohltuende geistig-körperliche Ordnung oder Begierde und damit Chaos. Die Keuschheit vollendet sich aber in der lebenslangen Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen.

Freiwillig aus Liebe zu Christus und in seiner Kirche übernommener Gehorsam schließlich schränkt die persönliche Verantwortung in sehr vernünftiger Weise auf jenes Ausmaß ein, in welchen man die eigene Verantwortung wirklich überschauen kann.

Alle drei Dimensionen des Wegschenkens natürlicher Ansprüche sind somit zunächst Opfer, oft recht empfindliche, und sie werden dies an manchen Wegkreuzungen des Lebens wiederum; aber noch viel mehr sind sie Wohltaten, da sie tiefer in die Ordnungen Gottes eindringen lassen. Sie befreien das Herz von Belastungen, die letztlich nur von Gott fernhalten, und geben innerlich größere Leichtigkeit, bessere Rahmenbedingungen für die Willenstätigkeit, eine insgesamt hellere, lichthaftere Haltung, mit einem Wort: sie schenken Ordnung und Schwungkraft. Und sie tragen das Gebet.

Hier sind wir nun im Zentrum der Beschreibung des heiligen Menschen. Er ist, in welcher Form auch immer, ein Mann, eine Frau des Gebetes. Sie hat Erfahrungen mit Christus gemacht und wünscht sie im stetigem Dialog mit ihm zu vertiefen. Sie dankt, bittet, lobt und verherrlicht Christus, in ihm aber den allmächtigen Vater im Himmel. Der Mensch des Gebetes hat täglichen Umgang mit Christus, der ihm real existierender und hilfreich präsenter Freund geworden ist. Das heißt freilich nicht, daß hierbei das geistliche Leben schon zu einer gleichsam versteinerten, ungefährdeten Sicherheit vorgedrungen (oder abgesunken) wäre. Der Mensch des Gebetes ist im Gegenteil viel empfindlicher den Veränderungen der Gottesbeziehung ausgeliefert als der unentschiedene, vorreligiöse Mensch. Sie, liebe Schwestern, kennen die "Gezeiten", das Auf und Ab des geistlichen Lebensweges. In dieser oft abenteuerlichen Unsicherheit muß jeder von uns oftmals wieder von ganz unten beginnen; ich muß mich wieder und wieder mit größter Demut dem anfänglichen Hervorleuchten des Heiligen allgemein aussetzen, ich muß nach und nach in die Sakralität hineinwachsen, um dann hinter den sakralen Formen der Gottesgegenwart das Antlitz Christi neu zu entdecken, neu mich ihm anzuvertrauen. Dies alles, obwohl man in der Erinnerung die längst gemachten Erfahrungen mit Christus noch bereithält; aber sie sind eben so sehr verblaßt, daß man doch praktisch wieder von vorn beginnen muß. Aber gerade dieses unverzagte Von-vorn-Anfangen ist typisch für den Heiligen. So beweist er, daß Christus sein Freund geblieben ist und er der Freund Christi.

Jede Heilige ist getroffen von der Person Jesu Christi, die sie überall wiederfindet und hinter allem nur noch_mehr sucht. Sie kämpft um ihre Christusbeziehung: möglichst rein und hell soll ihr Leben sein, weil es Christus, die große Kostbarkeit und das Geschenk des Himmels schlechthin, zum eigenen Nutzen und (noch) zu dem der anderen Menschen widerspiegeln soll. Die Heilige ist niemals egoistisch. Stets lebt sie für Christus, den wahren Herrn, und für den Nächsten, in dem sie Christus besonders nahe und lebendig wiederfindet. Der hl. Vinzenz von Paul schreibt ja zeitlos in seinem Brief über die Liebe zu den Armen: "Es ist keine Vernachlässigung Gottes, wenn ihr wegen Gott von Gott weggeht. Wenn ihr daher das Gebet verlaßt, um einem Armen zu Diensten zu sein, so denkt daran, daß ihr diesen Dienst Gott erweist. Die Liebe steht höher als irgendwelche Regeln", so wagt er zu formulieren. Die Heilige verschenkt, was sie hat - nicht in dummer Verschleuderung, sondern mit klugem Verantwortungsbewußtsein und doch in selbstlosem Geben, um immer mehr Menschen zu helfen. Sie möchte ihnen gewiß auch Christus näherbringen, aber ihr Schenken ist ohne Hintergedanken; sie weiß, daß Christus uns allen, gerade den Ärmsten, von sich aus entgegengeht, sodaß unser menschliches Helfen und Missionieren immer nur Andeutung und Zeichen einer unendlichen Fülle sein kann.

Jede Heilige lebt fühlbar im Frieden Christi, auch wenn der Eifer für Christus und seine Kirche sie drängt. Der Friede ist das sicherste Merkmal der Heiligen, freilich nicht der künstlich stoische Friede eine Selbstbetäubung durch (technisch organisierte) Meditation, sondern der gesunde Friede, der den Heiligen ansprechbar und hilfsbereit macht.

Der Heilige ist also der Mensch, der sich um Vollkommenheit bemüht, jedoch nicht in einer versteckten Art von Habgier, sondern weil er damit den unendlich guten, schönen und wahren Gott anzubeten hofft. Er verwirklicht, was Jesus Christus als das christliche Ideal empfohlen hat: "Willst du vollkommen sein, so verkaufe alles, was du hast, verleugne dich selbst und folge mir nach" (Mt 19,23). Diese von der Gnade Christi erleuchteten treuen Heiligen sind Modell der kommenden, der endgültigen Welt, wenn wir die Apokalypse Kap. 21 und 22(,14) lesen.

2. Durch Dienen heilig

Was ist das nun aber: Dienen und Dienst. Wir können es bei vielen Heiligen lernen, für Sie werden der hl. Franziskus und die hl. Elisabeth von Thüringen die ständigen Wegbegleiter auf diesem Weg sein. Sie werden mir für heute verzeihen, daß ich ein tieferes Eindringen in das Leben dieser beiden Vollendeten noch vor mir habe.

Dienen setzt nun zweierlei voraus: erstens die rechtmäßige Autorität, zweitens eine gewisse Zustimmung. Gegenüber einen bloßen Gewaltherrscher gibt es keinen Dienst, sondern nur blinde Unterwerfung, die bekanntlich von vornherein nicht auf Dauer angelegt ist; man beendet sie, sobald der Tyrann irgendeine Schwäche zeigt. Oder man bleibt im Sold eines Gewaltherrschers, solange man einen Vorteil dabei sieht. Man kann aber nicht nur in dieser Hinsicht oder nur zum jetzigen Zeitpunkt dienen, dann aber - in einer unbequemeren Lage oder am morgigen Tag - das Dienen unterbrechen, sondern man dient entweder auf eine befristete bzw. unbefristete Dauer und in einem bestimmten Bereich, aber dort unbedingt und unverkürzt, oder man dient nicht. Das heißt: Dienen ist immer eine Folge von Vertrauen.

Ich vertraue meinem Dienstgeber, daß er mir meinen Dienst nicht zur sog. Hölle auf Erden macht, und darum stelle ich keine Bedingungen. Ich vertraue; also suche ich keine Ausflüchte; also drücke ich mich nicht vor dem Dienst, sondern halte durch. Ich vertraue: also versuche ich nicht, in einer bestimmten Hinsicht viel über die Arbeit zu reden, ja vielleicht andere zu mehr Widerstand anzustacheln, sondern höchstens, sie zu besserer Leistung innerhalb des Dienstes zu begeistern. Dienen heißt: kommentarlos an seiner Stelle bleiben. Ehrlich gesagt, da merke ich erst, wie weit zurück ich da noch liege, gar nicht einfach. Daher muß ich demjenigen, dem ich diene, zumindest so weit zustimmen und vertrauen, als ich anerkenne, daß er berechtigt ist, von mir Dienste entgegenzunehmen oder zu fordern. Bei allen Dienenden muß immer ein gewisses Maß an innerer Zustimmung vorhanden sein, denn der Dienst ist eben auf Dauer übernommen und gilt für jede Stimmungslage, oder er ist nur ein scheinbares Dienen, bloß äußerliche Unterwerfung, die stets auf Davonlaufen programmiert ist. (Dienen heißt, die Überlegenheit einer bestimmten Person in einem wohlumschriebenen Lebensbereich zweifelsfrei zu erkennen und derart fraglos anzuerkennen, daß ich dabei jederzeit zur Verfügung stehe, mit bestimmten oder allen meinen Kräften je nach Art des Dienstes.) Die(se) Anerkennung des Dienstherrn kann sich zu einer echten, personalen Treuebeziehung verdichten, muß jedoch mindestens ein kräftiger, vernunftbetonter Respekt sein. Wo ich nicht einmal ein Minimum von Respekt haben kann, ist kein Dienen möglich.

Das Dienen kann vertraglich geregelt sein, muß dies aber nicht. So wird der Dienst gegenüber einer überirdischen Person (gegenüber Gott selbst, gegenüber der Muttergottes, einem Engel oder einem Heiligen) höchstens in vertragsähnlicher Weise von seiten des Menschen begonnen (also beispielsweise durch Gelübde und Versprechen), dagegen von der himmlischen Seite nicht weiter beschworen werden. Hierbei gilt die mehrfach im Alten Testament von Gott bekräftigte Bundesschließung mit Noah, dessen endgültige, unüberbietbare Bestätigung die Menschwerdung des Ewigen Wortes Gottes, des Einzigen Sohnes, also Jesu Christi, ist. Gott betrügt nie. Er bindet sich ganz und ausnahmslos, wo er sich bindet; was er versprochen hat, gilt für immer und ewig, und es wird mit absoluter Sicherheit erfüllt. An dieser absoluten Treue zum gegebenen Wort haben alle himmlischen Personen Anteil; ihre Treue kann nicht bezweifelt werden. Daher genügt also die Bindung von menschlicher Seite her, und dieses ist gewissermaßen nötig, weil der Mensch ja keineswegs immer treu bleibt.

Die Wirklichkeit des Dienens geht über das Vertragliche weit hinaus. Sie überschreitet auch die Grenzen des geschriebenen Rechtes. Das Dienen ist für jeden fast immer eine Selbstüberwindung. Kein Mensch dient fortwährend mit Vergnügen. Das Dienen erfüllt hier die Aufgabe der Gewöhnung an die kontinuierliche Anstrengung in der Arbeit. So überwindet der Mensch die Gefühle von Lust und Unlust und gleicht sich zunehmend den objektiven Erfordernissen an. So erfährt der Mensch auch, daß er etwas schuldet. Er schuldet als Mensch die Treue zur Wahrheit und das Tun des Guten, das Meiden des Bösen; er schuldet als Dienender bestimmte Dienstleistungen. In der Kirche nun sind dienende Menschen ungleich mehr notwendig als in sämtlichen profanen Lebensbereichen. Als weltumspannende und alle Zeiten integrierende Institution zur fortschreitenden Heiligung kann sie nur durch das Dienen aller ihrer Glieder vereint bleiben im ständigen Aufblick zu dem Einen, der sie legitimiert: Jesus Christus. Fehlen der Kirche in der Mehrzahl der leitenden und gehorchenden Instanzen (wobei kirchliche Leitungsämter ebenfalls Formen des Gehorsams sind) die wirklich dienenden Menschen, so verfällt die Kirche; sie bietet dann das kümmerliche Schauspiel einer zerstrittenen, sich bloß noch bemitleidenden Kaste von Propheten, die nicht mehr wissen, was, warum und wem sie prophezeien müssen. Dann entsteht der heutige Zustand der Kirche (der freilich in der Geschichte schon öfters der "heutige" war). Das Dienen ist für die Kirche die frische Luft und der Atem, der sie am Leben hält.

Zumindest in der Kirche beruht das Dienen aber nicht allein auf menschlicher Initiative. Jesus Christus, der Gottmensch und Erlöser, war in der Welt "als einer, der dient" (Lk 22,27). Er hat beim hl. Abendmahl den Seinigen die Füße gewaschen - ein Knechtsdienst, der anzeigen sollte, daß er zu der tiefsten Erniedrigung im Dienst der Erlösung bereit sei (Joh 13,1 - 11). Er hat diese Erniedrigung am Tag darauf tatsächlich durchgelitten, ist den freiwilligen Sklaventod am Kreuz gestorben und hat durch sein Blut die ganze Menschheit von der tödlichen Verlorenheit an die Sünde losgekauft (vgl. Mt 20,28; Gal 1,4; Eph 5,2; 1 Tim 1,6; Tit 2,14). Er hat sich nach seiner Auferstehung und Himmelfahrt nicht darauf beschränkt, die nun erlöste Menschheit sich selbst zu überlassen, sondern hat die Kirche durch seinen und des ewigen Vaters Geist fortlaufend geordnet und gestärkt. Er hat das Kreuzesopfer in der hl. Messe unblutig immerfort erneuert. Er hat durch sein Vorbild, wie es aus den heiligen Schriften spricht, und durch viele außerordentliche Zeichen zahlreiche Menschen zum Martyrium befähigt. Er hat zahllose Menschen so wie Sie durch seine fortgesetzte sakramentale Gegenwart in der Kirche bestärkt, ihre Standespflichten zu erfüllen und darüber hinaus am Heiligungswerk der Kirche gegenüber der Welt in besonderer Weise mitzuwirken: durch freiwillige Mühen, stellvertretende Leiden, freiwillige Dienste und Ämter, besondere Gebete und Verzichte. "Ich sah ein", so die hl. Theresia vom Kinde Jesu, "daß die eine Liebe die Glieder der Kirche zur Tätigkeit antreibt, und wenn die Liebe erlischt, kein Apostel mehr das Evangelium verkünden und keine Märtyrer mehr ihr Blut vergießen werden. Ich erkannte, daß die Liebe alle Berufungen in sich schließt." Immer ist es also Jesus Christus, von dem die Initiative ausging und ausgeht. Der dienende Mensch geht nur mit ihm, dem gottmenschlichen "Diener" aller Geschöpfe mit.

Allerdings ist das Mitgehen mit dem Herrn, der in seiner Kirche wirkt, heiligt und von der Knechtschaft der Lüge und Sünde befreit - und das wissen Sie selbst am besten - nicht ein unselbständiges Mitläufertum. Es ist vollverantwortliche, heilsbedeutsame Tätigkeit. Dies vor allem deswegen, weil das Ziel so deutlich ist, daß allein schon deshalb nicht von Mitlaufen die Rede sein kann. Das Ziel ist die Verherrlichung Gottes, des Vaters. Alles Mitleid des Herrn, des Guten Hirten (Joh 10,11), mit der sündenverhafteten Welt und alle erlösende Tätigkeit ist ihrerseits noch einmal hingeordnet auf die größtmögliche Verehrung und Verherrlichung des Vaters im Himmel; sie muß als Generalgrund (Exemplarursache) der gesamten Erlösung betrachtet werden. So tritt der Mensch, der im Dienste Christi den Dienst in der Kirche ausübt, gleichsam in die Herzmitte der Person Christi ein, um den Vater "im Geist und in der Wahrheit" anzubeten (Joh 4,23). Diejenigen, bei denen ein solcher Dienst im umfassendsten Sinn des Wortes das ganze Leben und Sterben geprägt, also licht und durchsichtig für die ewige Herrlichkeit gemacht hat und bei denen somit die Pilgerschaft durchs Leben "gelungen" ist, nennen wir die Heiligen.

Demut nun besagt noch mehr als Dienen. Bei der Demut handelt es sich niemals um ein Dienen um des Dienens oder der Unterwürfigkeit willen. Das wäre höchstens für einen Hund, aber nicht für einen Menschen eine Tugend. Vielmehr ist Demut jene Haltung, in welcher der Mensch viel Zeit, Opfer und Verzicht aufwendet und sogar richtig und vernünftig findet, weil er ein übergeordnetes, hohes Ziel dabei erreichen kann. (Es ist nicht so, daß Demut einfach der Verzicht vor dem sicheren Erfolg wäre; der dauernde Hinblick auf das möglicherweise erreichbare hohe Ziel ist lediglich die Begründung der Vernünftigkeit des ganzen Unternehmens.) Demut schließt aber durchaus lange Phasen ein, in denen man einfach weiterzugehen hat, ohne Näheres erklärt zu bekommen. Ein vollkommen demütiger Mensch fragt nicht einmal mehr danach, ob er mit seinem Handeln Erfolg, ob er tatsächlich den richtigen Weg gewählt habe, usf.; so fragt er am Anfang, dann jedoch vergißt er solche Abschweifungen. Er vergißt sogar sich selbst. Er geht einfach im Vertrauen auf eine höhere Instanz, die Sinn, Erfolg und alles übrige zu geben vermag.

Es mag durchaus geschehen, daß solche Stufen der Demut auch im weltlichen Bereich vorkommen. Sie sind dort aber nicht sehr gut begründet und gelangen nur zu einem verhältnismäßig befriedigenden Sinngehalt. Denn es gibt im profanen Bereich keine Instanz, auf die man sich absolut verlassen, auf deren je größeres und je besseres Eingreifen man verantwortbar hoffen könnte, je mehr man sich selbst zurücknimmt. All das ist nur in der Religion der Fall, und zwar am vollkommensten in der christlichen, wo sich Gott als zuvorkommender Vater, als sich selbst aufopfernder Sohn, als immerfort das Leben gewährender Heiliger Geist geoffenbart hat und so, als diese drei göttlichen Personen in der einen, unteilbaren göttlichen Wesenheit, geglaubt wird. Hier kann ein Vertrauen wachsen, das so stark wird, daß der Mensch nur danach fragt, ob er den Willen Gottes ganz erfüllt habe. Nichts mehr von menschlicher Eitelkeit, nichts mehr von Nutzen oder Nachruhm. Nur der Wille Gottes, dieses dreifaltig-einen liebenden und rettenden Gottes, zählt. Nur noch die größtmögliche Treue zu den Geboten und die größtmögliche Erfindungsgabe zur Verherrlichung Gottes ist Gegenstand der Sorge, nicht einmal mehr die ängstliche Sorge um mein ewiges Heil, wie Fortgeschrittene meinen. Das ist wahre Demut.

Das Dienen, wie wir es bisher gehört haben, führt zur Demut; es ist bereits Demut, wenn es echtes Dienen ist. Allerdings kann es als Dienst nur immer sich gleich bleiben, als Tugend der Demut hingegen stetig an Intensität weiter wachsen. Der Dienende weiß ungefähr, worum es sich bei seinem Dienst handelt, und setzt sein Vertrauen in etwas, das bzw. in jemand, den er ausreichend kennt; so kann er weiterarbeiten. Der Demütige tut das zwar auch, bekennt aber zudem, daß er nicht wirklich weiß, in welchem Rahmen er sich halten und was er überhaupt tun soll, und bittet daher um Belehrung und Führung. Der Dienende läßt sich gewiß korrigieren und bittet vielleicht darum, aber die Korrektur soll doch nicht zu oft und nicht zu entscheidend geschehen, damit die Kontinuität der Arbeit keinen Schaden leidet. Der Demütige ist bereit, zu jeder Zeit und in jeder Art und Weise Korrekturen oder Sanktionen zu empfangen und sich völlig umzustellen. Für den Dienenden ist immerhin klar, wer die rechtmäßige Autorität ist und worin ungefähr ihre Legitimität besteht; (es ist dem Dienenden auch geläufig, daß die Ränder seines Dienstes klar umrissen sind und daß es Lebensbereiche jenseits der Ränder gibt.) Dem Demütigen hingegen ist es hingegen überhaupt nicht klar, worin die Legitimität seines Herrn letztlich besteht und ob er genau derjenige Herr ist, den er sich vorstellt oder wünscht; es ist für ihn auch weder klärbar noch interessant, ob sein Leben Bereiche haben könnte, die jenseits der Demut liegen, d. h. wo er nicht demütig sein müßte oder sollte: Demut will ja von sich aus überall und in jeder Hinsicht als Demut dasein, sonst wäre sie ja gerade keine Demut, sondern besonders raffiniert maskierter Hochmut. Dienen ist der Weg zur objektiven Welt der Werte und letztlich zum Willen Gottes, Demut ist der Weg von dort herunter in die noch heillose Welt des Alltages. Im Dienen kann ein Mensch heilig werden, in der Demut seine Heiligkeit nur noch praktisch beweisen. Der Unterschied leuchtet ein.

Der Dienstherr, der nie enttäuscht, ist Jesus Christus. Er hört dir zu jeder Tages- und Nachtstunde zu, schickt dir jederzeit einen Engel, der dir speziell beisteht, macht sich dir bemerkbar, wo du ihn brauchst. Er wird deiner nie überdrüssig. Er hat sein Blut für dich vergossen, damit du nicht für immer im Abseits vor dem Zorn Gottes Deckung suchen mußt, sondern damit du, von der Sünde befreit, vertrauensvoll zum ewigen Vater hintreten kannst. Christus steht auch heute für dich ein; er vereint sich mit dir in der Heiligen Kommunion. Er zeigt sich dir in unbeschreiblich tröstlicher Weise bei jeder eucharistischen Anbetung.

Es ist nicht garantiert, ob auf diesem Weg der Demut nicht viel mehr Leiden sind als auf der breiten Straße weltliche Banalitäten. Unter der Führung der Königin der Engel, unter der Führung der demütigen Königin des Himmels haben wir ganz engagierte schützende Begleiter, es sind unsere jeweiligen Schutzengel, die wir heute am 2. Oktober in unsere kurze Andacht besonders anrufen wollen. Unser Schutzengel bemüht sich nicht nur um Abwehr, sondern auch um die Heiligung - er bietet alles auf, unseren geistig-geistlichen Aufstieg zu begünstigen und unsere innige Verbindung mit Gott zu fördern, wie Pius XII. betont. "Wie tröstlich ist es", so Johannes XXIII., "diesen himmlischen Beschützer so nahe bei uns zu fühlen." Dieser Papst pflegte die Andacht, die Schutzengel der Gesprächspartner vorbereitend anzurufen, um guten Einfluß von Gott zu erwirken. Die herrlichen reingeistigen Diener Gottes sind uns auch konkret Vorbild, im Alten Testament gibt es eine Vielzahl von Stellen, in denen sich Engel schon um das leibliche Wohl der Menschen kümmern (Gen 21,19; 1 Kön 19,4 - 8). Vergessen wir schließlich nie mit Blick auf die Stelle aus der heutigen Sonntagslesung aus dem Hebräerbrief, wem wir nachfolgen dürfen: Jesus Christus nämlich, "der nur für kurze Zeit unter die Engel erniedrigt war" seiner menschlichen Natur nach, und für den es angemessen war, "daß Gott, für den und durch den das All ist und der viele zur Herrlichkeit führen wollte, den Urheber ihres Heiles durch Leiden vollendete. - Um des Todesleidens willen sehen wir den Gottmenschen Jesus Christus mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt." Nur das eine ist also garantiert: daß auf dem Weg der radikalen, demütigen Nachfolge alles und jedes kostbar sein wird, weil das Licht göttlicher Liebe darauf ruht, jener göttlichen Liebe, deren Grenzenlosigkeit sich im geöffneten Herzen Jesu unwiderleglich zeigt, das heiligste Herz, daß ununterbrochen für uns schlägt, in vollem Opferwillen, wenn wir an das hl. Meßopfer denken, jenes Herz, daß uns am sichersten vor Lauheit und kühler Härte im Dienst bewahrt. AMEN.


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