Dieser Eintrag soll ein möglichst sachlicher Einwurf sein, um verschiedene bisher vielleicht übersehene Aspekte oder Stellungnahmen in die
aktuelle Diskussion zur Familienförderung in Deutschland und Österreich einzubringen. Persönlich meine ich, daß alle gutgemeinten Maßnahmen zur Vermehrung von Familiengründungen nicht von vorneherein nur deshalb verdammt werden sollten, weil sie von ideologisch verdächtigen (Kirchen)politikern geäußert werden.
Im Vordergrund sollte für alle das konsequente Arbeiten 1. an einer Veränderung der in den beiden genannten Staaten und praktisch in ganz Europa unerträglichen Gesetzeslage des fehlenden strafrechtlichen
Schutzes ungeborener Kinder von ihrer Empfängnis an und
2. an einem Bündel sozialpolitischer Maßnahmen, welche es allen Mann-Frau-Paaren nachweislich erleichtert, ihr Ja zu jedem gezeugten Kind - selbst wenn es angeblich unerwünscht war - zu sagen,
stehen. Das Menschenrecht auf Leben, welches bereits dem ungeborenen Menschen vollständig zukommt, muß absolute Priorität besitzen.
Leider hat realpolitisch Jürgen Liminski mit seiner in der Augsburger Katholischen SonntagsZeitung am 13./14. Januar 2007 geäußerten Meinung wohl weitgehend recht, daß die Familie nämlich als solche
"im politisch-medialen Establishment keine Lobby" besitzt. Und "
der Vorschlag eines Rechtsanspruches auf kostenlose Betreuung ab dem ersten Geburtstag steht im Verdacht, nicht verfassungskonform zu sein, weil er auf Kosten der Kindergeldbezieher geht." Er schließt seine Analyse zur "
doppelzüngigen Politik" so ab: "
Die Zahl der Kinder zu erhöhen, liegt im Interesse des Staates und seiner umlagefinanzierten Sozialsysteme. Der Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften - am besten junge Frauen und Mütter, weil die preisgünstiger und verantwortungsbewußter sind - soll durch Ganztagsbetreuung ab dem ersten Geburtstag behoben werden. Das liegt im Interesse der Wirtschaft. Dieses Interesse hat Vorfahrt. Mit Familie als dem Hort selbstloser Liebe oder dem primären Ort unserer Gefühls- und Verantwortungskultur hat das nichts mehr zu tun." Was Liminski allerdings übersieht, ist der Wunsch nicht weniger, auch katholischer Ehefrauen, sich wenigstens teilzeitmäßig zusätzlich verwirklichen zu dürfen.
Der Päpstliche Rat für die Familie hat bereits am 8. Dezember 1995 in einem viel zu wenig beachteten Dokument über die Wahrheit und Bedeutung der menschlichen
Sexualität in der Erziehung unter anderem, wenn auch nicht mit Unfehlbarkeitsanspruch, die besondere Bedeutung der häuslichen Umgebung für die ersten Kindesjahre festgehalten (Nr. 50 und 51): "
In ihren jüngsten Resultaten stimmen Psychologie und Pädagogik mit der Erfahrung dahingehend überein, daß sie die entscheidende Bedeutung unterstreichen, die das liebevolle Klima in der Familie für eine harmonische und segensreiche Geschlechtserziehung hat, und zwar vor allem in den ersten Jahren des Kleinkind- und des Kindesalters und vielleicht auch schon vor der Geburt, also in den Zeitabschnitten, in denen sich die Gefühlswelt der Kinder in ihrer Dynamik und Tiefe ausprägt. Ausgeglichenheit, Akzeptanz und Verständnis zwischen Mann und Frau werden in ihrer Bedeutung hervorgehoben. Man betont ferner den Wert einer ungetrübten Beziehung zwischen den Eheleuten, ihrer positiven Gegenwart - der des Vater ebenso wie der der Mutter - in den für den Identifikationsprozeß entscheidenden Jahren und ihrer vertrauenerweckenden Liebe zu den Kindern.
Gewisse schwerwiegende Mängel oder Unausgeglichenheiten im Verhältnis der Eltern zueinander (beispielsweise die Nichtbeteiligung eines oder beider Eltern am Familienleben, erzieherisches Desinteresse oder übertriebene Strenge) rufen in den Gefühlen und Emotionen der Kinder Störungen hervor, die in ihrer Jugend zu ernsten Beeinträchtigungen führen und sie zuweilen für ihr ganzes Leben zeichnen können. Es ist nötig, daß die Eltern die Zeit finden, um mit ihren Kindern zusammenzusein und sich ihnen im Gespräch zu widmen. Die Kinder, Geschenk und Verpflichtung, sind ihre wichtigste Aufgabe, mag auch diese Aufgabe dem Anschein nach nicht immer sehr einträglich sein: sie ist wichtiger als der Beruf, wichtiger als das Vergnügen, wichtiger als die gesellschaftliche Stellung. In solchen Gesprächen muß man - und zwar mit den Jahren in immer höherem Maße - aufmerksam zuhören können, man muß sich bemühen, die Kinder zu verstehen, und in der Lage sein, die Berechtigung, die in manchen Formen der Auflehnung enthalten sein kann, anzuerkennen. Es geht nicht darum, bestimmte Verhaltensweisen durchzusetzen, sondern die übernatürlichen und menschlichen Gründe aufzuzeigen, die diese Verhaltensweise nahelegen. Den größten Erfolg werden diejenigen Eltern haben, die ihren Kindern ihre Zeit widmen und sich liebevoll und wirklich in sie hineinversetzen."
Der Augsburger Diözesanbischof Dr. Walter Mixa, der die ganze Debatte für viele interessant hat werden lassen, meinte nunmehr gemäß
Radio-Vatikan-Nachrichten: "
Mir ist sehr wohl bewußt, daß es berufstätige Frauen gibt und geben muß. Mir ging es nur darum, auch zu sagen: es kann ja nicht nur sein wegen der Demographie, daß wir sagen, wir sind in Deutschland ein sehr kinderarmes Land, und die Frauen sollen die Kinder zur Welt bringen, aber sie sollen dann möglichst schnell auch wieder berufstätig sein. Ich bin der festen Überzeugung: das muß der Frau persönlich viel stärker überlassen werden." Mixa betonte, er sei nicht gegen Kinderkrippen, ihm gehe es auch nicht um ein bestimmtes Weltbild, sondern um das Wohl des Kindes. Der nordrhein-westfälische Familienminister Armin Laschet kritisierte die Schärfe und Polemik der Diskussion. Deutschland sei bei den Krippenplätzen Schlußlicht in Europa und müsse dringend mehr tun, um Eltern Wahlfreiheit zu gewähren. Auch der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz Deutschlands, Karl Kardinal Lehmann, bedauerte im Deutschlandfunk die Polemik der Debatte auf beiden Seiten. Er begrüße die Krippenoffensive der Bundesregierung, allerdings teile er mit Bischof Mixa die Einschätzung, daß zu viel staatlicher Einfluß auf die Kindererziehung schädlich sein könne, womit die Kirche auf das Faktum verweist, daß den Eltern (vor dem Staat usw.) das ursprüngliche Naturrecht auf Erziehung zukommt.
Seine Heiligkeit Papst Benedikt XVI. hatte bereits am 11. Januar 2007 indirekt Stellung bezogen, was die Bekämpfung der Armut und die leichtere Gründung von Familien betrifft. Vor den politischen Vertretern und Mitarbeitern der Verwaltungseinrichtungen der Region Latium sowie der Provinz Rom, die sicherlich in ihrer Mehrzahl der Idee eines vermehrten Angebotes von Kinderkrippen nicht abgeneigt sind, hielt der Heilige Vater unter anderem fest: "
Dieselbe Sorge für den Menschen, die uns veranlaßt, den Armen und Kranken beizustehen, läßt uns auch auf jenes grundlegende menschliche Gut unsere Aufmerksamkeit richten, das die auf der Ehe gegründete Familie ist. Heute müssen Ehe und Familie in ihrem inneren Wert und in ihrer authentischen Motivation besser verstanden werden, und zu diesem Zweck ist der pastorale Einsatz der Kirche groß und muß weiter wachsen. Aber ebenso notwendig ist eine Politik der Familie und für die Familie, die, in zweifacher Hinsicht, auch die Ihnen eigenen Verantwortungen auf den Plan ruft. Es geht darum, jene Initiativen zu intensivieren, mittels derer für junge Paare die Gründung einer Familie und dann die Zeugung und Erziehung der Kinder weniger schwierig und belastend werden, indem die Beschäftigung der jungen Menschen gefördert wird, so weit wie möglich die Wohnungskosten eingeschränkt werden und die Zahl der Kindergärten und Kinderkrippen vermehrt wird. Hingegen erscheinen jene Projekte gefährlich und kontraproduktiv, die bestrebt sind, anderen Formen der Verbindung unangemessene rechtliche Anerkennung zu gewähren, und die so unweigerlich die auf der Ehe gegründete legitime Familie schwächen und destabilisieren."
Abschließend wird es kein Fehler sein, zu all diesen Fragen ein bleibend aktuelles Werk zu konsultieren:
Johannes Messner,
Das Naturrecht. Handbuch der Gesellschaftsethik, Staatsethik und Wirtschaftsethik, Berlin 1984. Auch wenn sich die letzte von diesem weltweit anerkannten Sozialwissenschafter bearbeitete fünfte Auflage auf den Oktober 1965 bezieht, so war der katholische Priester Messner seiner Zeit jeweils argumentativ und wissenschaftlich ein Stück voraus, ohne je den Anspruch der nur durch das Naturrecht und die volle
katholische Soziallehre zu rettenden Menschenrechte im authentischen Sinn aufzugeben. "
Steuerpolitik und Kinderbeihilfe vermögen zumeist nicht die verhältnismäßig stärkere Belastung des Familieneinkommens durch dauernde oder vorübergehende Sonderausgaben auszugleichen. Sie sind daher je nach den Verhältnissen durch familienpolitische Maßnahmen von Staat und Gemeinden zu ergänzen. Als solche sind in verschiedenen Ländern zu verzeichnen: Ehegründungsdarlehen teilweise mit abgestufter Erlassung der Rückzahlung im Gefolge der Geburt von Kindern, Mutterschaftsbeihilfen für die Zeit vor und nach der Geburt, unentgeltliche Entbindung im Krankenhaus, Beistellung von Heimhelferinnen für Wöchnerinnen, Wohnungsbeihilfen je nach der Kinderanzahl, besondere Zahlungen an nicht außer Haus beschäftigte Mütter, Ausbildungsaushilfen je nach Einkommen der Eltern bei Auslagen für Kinder beim Besuch der Fachschulen, die unentgeltliche Einbeziehung der Familienangehörigen in die Sozialversicherung des Vaters, Fahrpreisermäßigungen für kinderreiche Familien, freie Schulspeisungen, Kinderheime, Mütterferienheime." (S. 564)
Johannes Messner hätte auch dies alles weitergedacht und wäre mit der bundesdeutschen Familienministern zweifellos nicht in jener anfänglichen Schärfe umgegangen, wie es offenbar überhastend geschehen ist. Wenn es stimmt, daß Frankreich die beiden Länder Deutschland und Österreich insbesondere auch wegen eines systematischeren Angebots von Kinderkrippen und anderer Maßnahmen im Kindesnachwuchs mehr als deutlich überholt hat, dann würde Messner zweifellos der Frage nachgehen wollen, was dies alles – je nach Einbindungsstärke der eigenen Eltern und Familie bei der Nutzung von Kinderkrippen – für seine besonders auf der familiären Erfahrung basierenden Naturrechtslehre bedeutet: "
Viel ursprünglicher und zu allererst ist der Mensch Familienwesen. In der Familie erfährt er die Formung seiner Haltungen und Verhaltensweisen wie überhaupt seines Geistes bis auf den tiefsten Grund, und in der Familiengemeinschaft lernt er, was ihm als Gesellschaftswesen und als Einzelwesen im Streben nach Erfüllung seines Glückstriebes, also in seinem Wertstreben, wahrhaft zum Wohle ist. Es ist die unmittelbare, ihm in diesem Zusammenleben durch seine Natur aufgenötigte Erfahrung, die für seine Selbstbestimmung der Anlaß zu den seiner Natur gemäßen Verhaltensweisen wird (...) Damit haben wir einen höchst wichtigen Punkt in der Frage der Begriffsfassung des Naturgesetzes (und damit auch des Naturrechts) erreicht: die sittlichen Prinzipien bzw. Werte werden von Anfang an nicht abstrakt und formal erfaßt, sondern nur in konkreter, gegenständlicher, inhaltlicher Bestimmtheit." (S. 57)
Nun gibt es aber heute vermehrt Menschen, die das Pech hatten, entweder nur noch einen Elternteil erleben zu dürfen oder gar keine leiblichen Eltern mehr zu haben. Es wäre ein unwissenschaftliches Vorurteil, zu behaupten, daß die meisten dieser Mitmenschen gewissermaßen vordeterminiert irgendeinen schweren oder leichten psychischen Schaden davongetragen hätten oder sich nicht zu ausgeglichenen Persönlichkeiten formen (lassen) konnten. Es muß also durchaus familienähnliche Ersatzerfahrungen geben können, die dieselbe gesunde Grundlegung des potentiell funktionierenden menschlichen Naturgesetzes ermöglichen. Von daher lehne ich ideologische Fixierungen ohne Sachargumente und ein absolutes Ausschließen einer Kombination verschiedener Förderungsmöglichkeiten in der gesamten Diskussion entschieden ab. Alle Meinungen sind ernstzunehmen, und in der Realpolitik wird man sich in Deutschland und Österreich – fünf vor zwölf – auf gute Kompromisse einigen müssen, die wieder zu mehr Familiengründungen führen, meint Euer
Padre Alex – Vizeoffizial Mag. Mag. Dr. Alexander Pytlik
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