Tuesday, August 31. 2010
NEUE MISSBRAUCH LEITLINIEN GELTEN ... Posted by Padre Alex / Dr. Alexander Pytlik
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22:00
Comments (3) Trackbacks (5) NEUE MISSBRAUCH LEITLINIEN GELTEN NICHT BEI FÄLLEN VON BISCHÖFEN
Leitlinien für den Umgang mit sexuellem Mißbrauch Minderjähriger durch Kleriker, Ordensangehörige und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz
EINFÜHRUNG Grundsätzliches 1. In ihrer Verantwortung für den Schutz der Würde und Integrität junger Menschen haben sich die deutschen Bischöfe auf die folgenden Leitlinien verständigt. Sie schreiben damit die Leitlinien von 2002 fort. Die Leitlinien 2010 sollen eine abgestimmte Vorgehensweise im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz gewährleisten. Sie sind Grundlage für die von den Diözesanbischöfen für ihre jeweilige Diözese zu erlassenden Regelungen. Katholischen Rechtsträgern, die nicht in diözesaner Zuständigkeit stehen, wird die entsprechende Übernahme der Leitlinien dringend empfohlen. Opfer sexuellen Mißbrauchs bedürfen besonderer Achtsamkeit. Sie müssen vor weiterer sexueller Gewalt geschützt werden. Ihnen und ihren Angehörigen müssen bei der Aufarbeitung von Mißbrauchserfahrungen Unterstützung und Begleitung angeboten werden. Sexueller Mißbrauch vor allem an Kindern und Jugendlichen ist eine verabscheuungswürdige Tat. Dies gilt besonders, wenn Kleriker oder Ordensangehörige sie begehen. Nicht selten erschüttert der von ihnen begangene Mißbrauch bei den Opfern – neben den möglichen schweren psychischen Schädigungen – zugleich auch das Grundvertrauen in Gott und die Menschen. Die Täter fügen der Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Sendung schweren Schaden zu. Es ist ihre Pflicht, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Der Begriff des „sexuellen Mißbrauchs“ im Sinne der Leitlinien 2. Diese Leitlinien beziehen sich auf Handlungen nach dem 13. Abschnitt des Strafgesetzbuchs [der Bundesrepublik Deutschland], soweit sie an Minderjährigen begangen werden. 3. Zusätzlich finden sie entsprechende Anwendung bei Handlungen unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit, die im pastoralen oder erzieherischen sowie im betreuenden oder pflegerischen Umgang mit Kindern und Jugendlichen eine Grenzüberschreitung darstellen. ZUSTÄNDIGKEITEN Ernennung eines Beauftragten und Einrichtung eines Beraterstabs 4. Der Diözesanbischof beauftragt eine geeignete Person (oder mehrere Personen) als Ansprechperson für Verdachtsfälle auf sexuellen Mißbrauch an Minderjährigen durch Kleriker, Ordensangehörige oder andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst. 5. Die beauftragte Person soll nicht zur Leitung des Bistums gehören. Werden mehrere Personen beauftragt, soll mindestens eine von ihnen nicht zur Leitung des Bistums gehören. 6. Name und Anschrift der beauftragten Person werden auf geeignete Weise bekanntgemacht, insbesondere im Amtsblatt und auf der Internetseite des Bistums. 7. Der Diözesanbischof richtet zur Beratung in Fragen zum Umgang mit sexuellem Mißbrauch Minderjähriger einen ständigen Beraterstab ein. Diesem gehören insbesondere Frauen und Männer mit psychiatrisch-psychotherapeutischem, möglichst auch forensisch-psychiatrischem, sowie juristischem Sachverstand und fundierter fachlicher Erfahrung und Kompetenz in der Arbeit mit Opfern sexuellen Mißbrauchs an. Dem Beraterstab können auch Personen angehören, die im kirchlichen Dienst beschäftigt sind. Im Einzelfall können weitere fachlich geeignete Personen hinzugezogen werden. 8. Die Verantwortung des jeweiligen Diözesanbischofs bleibt unberührt. 9. Mehrere Diözesanbischöfe können gemeinsam einen überdiözesanen Beraterstab einrichten. Zuständigkeiten der beauftragten Person 10. Die beauftragte Person nimmt Hinweise auf sexuellen Mißbrauch an Minderjährigen durch Kleriker, Ordensangehörige oder andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Bereich entgegen und nimmt eine erste Bewertung der Hinweise auf ihre Plausibilität vor. 11. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst sind verpflichtet, diesbezügliche Sachverhalte und Hinweise, die ihnen zur Kenntnis gelangen, der beauftragten Person mitzuteilen. Etwaige gesetzliche Schweigepflichten oder Mitteilungspflichten gegenüber staatlichen Stellen (z. B. Jugendamt i. S. d. § 8a SGB VIII, Schulaufsicht) sowie gegenüber Dienstvorgesetzten bleiben hiervon unberührt. 12. Der Diözesanbischof wird von der beauftragten Person unverzüglich informiert. Sofern es sich um Ordensangehörige handelt, ist auch der Ordensobere zu informieren. Zuständigkeiten bei Ordensangehörigen 13. Der Diözesanbischof ist zuständig in Fällen von Ordensangehörigen, die in bischöflichem Auftrag tätig sind, unbeschadet der Verantwortung der Ordensoberen. 14. In anderen Fällen liegt die Zuständigkeit bei den jeweiligen Ordensoberen. Ihnen wird dringend nahegelegt, den örtlich betroffenen Diözesanbischof über Fälle sexuellen Mißbrauchs oder Verdachtsfälle in ihrem Verantwortungsbereich sowie über die eingeleiteten Schritte zu informieren. VORGEHEN NACH KENNTNISNAHME EINES HINWEISES Gespräch mit dem mutmaßlichen Opfer 15. Wenn ein mutmaßliches Opfer (gegebenenfalls seine Eltern oder Erziehungsberechtigten) über einen Verdacht des sexuellen Mißbrauchs informieren möchte, vereinbart die beauftragte Person ein Gespräch. Der Diözesanbischof bestimmt, wer seitens der Diözese an diesem Gespräch teilnimmt. Das mutmaßliche Opfer (gegebenenfalls seine Eltern oder Erziehungsberechtigten) kann zu dem Gespräch eine Person des Vertrauens hinzuziehen. Zu Beginn des Gesprächs wird auf die Möglichkeit hingewiesen, daß der Mißbrauchsverdacht der Strafverfolgungsbehörde mitgeteilt wird (vgl. Nr. 27). 16. Dem Schutz des mutmaßlichen Opfers und dem Schutz vor öffentlicher Preisgabe von Informationen, die vertraulich gegeben werden, wird besondere Beachtung beigemessen. 17. Das Gespräch wird protokolliert. Das Protokoll soll von dem mutmaßlichen Opfer (gegebenenfalls seinen Eltern oder Erziehungsberechtigten) unterzeichnet werden. 18. Das mutmaßliche Opfer (ggf. seine Eltern bzw. Erziehungsberechtigten) wird über die Möglichkeit einer eigenen Anzeige bei den [staatlichen] Strafverfolgungsbehörden informiert. 19. Der Diözesanbischof wird über das Ergebnis des Gesprächs informiert. Gespräch mit der beschuldigten Person 20. Sofern dadurch die Aufklärung des Sachverhalts nicht gefährdet und die Ermittlungsarbeit der [staatlichen] Strafverfolgungsbehörden nicht behindert werden, führt ein Vertreter des Dienstgebers – eventuell in Anwesenheit der beauftragten Person – ein Gespräch mit der beschuldigten Person. Der Schutz des mutmaßlichen Opfers muß in jedem Fall sichergestellt sein, bevor das Gespräch stattfindet. In dem Gespräch wird die beschuldigte Person mit dem Vorwurf oder Verdacht konfrontiert, und es wird ihr Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern. 21. Die beschuldigte Person kann eine Person ihres Vertrauens hinzuziehen. 22. Die beschuldigte Person wird über die Möglichkeit der Aussageverweigerung informiert. Zur Selbstanzeige bei den [staatlichen] Strafverfolgungsbehörden wird ihr dringend geraten. 23. Das Gespräch wird protokolliert. Das Protokoll soll von allen Anwesenden unterzeichnet werden. 24. Der Diözesanbischof wird über das Ergebnis des Gespräches von dem Vertreter des Dienstgebers informiert. 25. Auch der beschuldigten Person gegenüber besteht die Pflicht zur Fürsorge. Sie steht – unbeschadet erforderlicher vorsorglicher Maßnahmen – bis zum Erweis des Gegenteils unter Unschuldsvermutung. Unterstützung der staatlichen Strafverfolgungs- und anderen zuständigen Behörden 26. Sobald tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht eines sexuellen Mißbrauchs an Minderjährigen vorliegen, leitet ein Vertreter des Dienstgebers die Informationen an die staatliche Strafverfolgungsbehörde und – soweit rechtlich geboten – an andere zuständige Behörden (z. B. Jugendamt i. S. d. § 8a SGB VIII, Schulaufsicht) weiter. Rechtliche Verpflichtungen anderer kirchlicher Organe bleiben unberührt. 27. Die Pflicht zur Weiterleitung der Informationen an die Strafverfolgungsbehörde entfällt nur ausnahmsweise, wenn dies dem ausdrücklichen Wunsch des mutmaßlichen Opfers (bzw. dessen Eltern oder Erziehungsberechtigten) entspricht und der Verzicht auf eine Mitteilung rechtlich zulässig ist. In jedem Fall sind die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten, wenn weitere mutmaßliche Opfer ein Interesse an der strafrechtlichen Verfolgung der Taten haben könnten. 28. Die Gründe für den Verzicht auf eine Mitteilung bedürfen einer genauen Dokumentation, die von dem mutmaßlichen Opfer (gegebenenfalls seinen Eltern bzw. Erziehungsberechtigten) zu unterzeichnen ist. Untersuchung im Rahmen des kirchlichen Strafrechts 29. Unabhängig von den staatlichen straf- und zivilrechtlichen Verfahren ist bei Klerikern eine „kirchenrechtliche Voruntersuchung“ gemäß can. 1717 und 1719 CIC durchzuführen. Diese bedient sich – soweit gegeben – der Ergebnisse der staatlichen Strafverfolgungsbehörden. 30. Bestätigt die „kirchenrechtliche Voruntersuchung“ den Verdacht sexuellen Mißbrauchs, informiert der Diözesanbischof den Apostolischen Stuhl, der darüber entscheidet, wie weiter vorzugehen ist (gemäß Motu Proprio „Sacramentorum sanctitatis tutela“ vom 30. 4. 2001 in Verbindung mit Art. 16 der „Normae de gravioribus delictis“ vom 21. 5. 2010). Maßnahmen bis zur Aufklärung des Falls 31. Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht eines sexuellen Mißbrauchs an Minderjährigen vor, entscheidet der Diözesanbischof über das weitere Vorgehen. Soweit es die Sachlage erfordert, stellt der Diözesanbischof die beschuldigte Person vom Dienst frei und hält sie von allen Tätigkeiten fern, bei denen Minderjährige gefährdet werden könnten (vgl. Art. 19 der „Normae de gravioribus delictis“). 32. Der beschuldigten Person kann auferlegt werden, sich vom Dienstort fernzuhalten. 33. Die beauftragte Person ist über die beschlossenen Maßnahmen und den jeweiligen Stand der Umsetzung zu informieren. Der Diözesanbischof bestimmt eine Person, die seitens der Diözese das mutmaßliche Opfer (gegebenenfalls seine Eltern bzw. Erziehungsberechtigten) unterrichtet. 34. Soweit für den staatlichen Bereich darüber hinausgehende Regelungen gelten, finden diese entsprechende Anwendung. 35. Erweist sich ein Vorwurf oder Verdacht als unbegründet, werden die notwendigen Schritte unternommen, um den guten Ruf der fälschlich beschuldigten oder verdächtigten Person wiederherzustellen. Vorgehen bei nicht aufgeklärten Fällen 36. Wenn der Verdacht des sexuellen Mißbrauchs weder nach staatlichem Recht noch nach kirchlichem Recht aufgeklärt wird, z. B. weil Verjährung eingetreten ist, jedoch tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, die die Annahme eines sexuellen Mißbrauchs an Minderjährigen rechtfertigen, gelten die Nummern 31, 32 und 34 entsprechend. Zugleich ist zu prüfen, inwieweit die zuständigen kirchlichen Stellen selbst die Aufklärung des Sachverhalts herbeiführen können. Dabei sollen auch ein forensisch-psychiatrisches Gutachten zur Risikoabschätzung und gegebenenfalls auch ein Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aussage des mutmaßlichen Opfers eingeholt werden. HILFEN Hilfen für das Opfer 37. Dem Opfer und seinen Angehörigen werden Hilfen angeboten oder vermittelt. Die Hilfsangebote orientieren sich an dem jeweiligen Einzelfall. Zu den Hilfsangeboten gehören seelsorgliche und therapeutische Hilfen. Das Opfer kann Hilfe nichtkirchlicher Einrichtungen in Anspruch nehmen. Diese Möglichkeit besteht auch, wenn der Fall verjährt oder die beschuldigte Person verstorben ist. 38. Für die Entscheidung über die Gewährung von konkreten Hilfen ist der Diözesanbischof zuständig. 39. Bei der Gewährung von Hilfen für ein Mißbrauchsopfer ist gegebenenfalls eng mit dem zuständigen Jugendamt oder anderen Fachstellen zusammenzuarbeiten. Hilfen für betroffene kirchliche Einrichtungen, Dekanate und Pfarreien 40. Die Leitungen der betroffenen kirchlichen Einrichtungen, Dekanate und Pfarreien werden von dem Vertreter des Dienstgebers über den Stand eines laufenden Verfahrens informiert. Sie und ihre Einrichtungen bzw. Dekanate und Pfarreien können Unterstützung erhalten, um die mit dem Verfahren und der Aufarbeitung zusammenhängenden Belastungen bewältigen zu können. KONSEQUENZEN FÜR DEN TÄTER 41. Gegen im kirchlichen Dienst Tätige, die Minderjährige sexuell mißbraucht haben, wird im Einklang mit den jeweiligen staatlichen und kirchlichen dienst- oder arbeitsrechtlichen Regelungen vorgegangen. 42. Die betreffende Person wird nicht in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im kirchlichen Bereich eingesetzt. 43. Soweit die betreffende Person im kirchlichen Dienst verbleibt, wird ein forensisch-psychiatrisches Gutachten eingeholt, das konkrete Angaben darüber enthalten soll, ob und gegebenenfalls wie der Täter so eingesetzt werden kann, daß es nicht zu einer Gefährdung von Minderjährigen kommt. Täter, bei denen eine behandelbare psychische Störung vorliegt, sollen sich einer Therapie unterziehen. 44. Die forensisch-psychiatrische Einschätzung dient der Entscheidungsfindung des Diözesanbischofs. 45. Es obliegt dem Diözesanbischof, dafür Sorge zu tragen, daß die von ihm verfügten Beschränkungen oder Auflagen eingehalten werden. Das gilt bei Klerikern auch für die Zeit des Ruhestands. 46. Wird ein Kleriker oder Ordensangehöriger, der eine minderjährige Person sexuell mißbraucht hat, innerhalb der Diözese versetzt, und erhält er einen neuen Dienstvorgesetzten, wird dieser über die besondere Problematik und eventuelle Auflagen unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften schriftlich informiert. Bei Versetzung oder Verlegung des Wohnsitzes in eine andere Diözese wird der Diözesanbischof bzw. der Ordensobere, in dessen Jurisdiktionsbereich der Täter sich künftig aufhält, entsprechend der vorstehenden Regelung in Kenntnis gesetzt. Gleiches gilt gegenüber einem neuen kirchlichen Dienstgeber und auch dann, wenn der sexuelle Mißbrauch nach Versetzung bzw. Verlegung des Wohnsitzes sowie nach dem Eintritt in den Ruhestand bekannt wird. Bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im kirchlichen Dienst, die ihren Arbeitsbereich innerhalb kirchlicher Einrichtungen wechseln, ist der neue Vorgesetzte unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften schriftlich zu informieren. ÖFFENTLICHKEIT 47. Eine angemessene Information der Öffentlichkeit unter Wahrung des Persönlichkeitsschutzes der Betroffenen wird gewährleistet. PRÄVENTION Auswahl von Klerikern, Ordensangehörigen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im kirchlichen Dienst 48. Von Personen, die haupt- oder nebenberuflich in der Kinder- und Jugendarbeit eingesetzt werden sollen, ist entsprechend den gesetzlichen Regelungen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis einzuholen. 49. Wenn Anlaß zur Sorge besteht, daß bei einer Person Tendenzen zu sexuellem Fehlverhalten vorliegen, wird eine forensisch-psychiatrische Begutachtung angeordnet. Aus- und Fortbildung 50. Die Aus- und Fortbildung enthält im Rahmen der allgemeinen Persönlichkeitsbildung die offene Auseinandersetzung mit Fragen der Sexualität, vermittelt Kenntnisse über sexuelle Störungen und gibt Hilfen für den Umgang mit der eigenen Sexualität. 51. Die für die Aus- und Fortbildung Verantwortlichen sowie die für die Personalführung Verantwortlichen nehmen sich der in ihrem Zuständigkeitsbereich tätigen Personen an, die ein auffälliges Verhalten zeigen, um persönliche Schwierigkeiten in einem frühen Stadium anzusprechen und Hilfen zur Bewältigung aufzuzeigen. 52. Die Personalverantwortlichen im kirchlichen Bereich sowie die beauftragten Personen der Diözesen bilden sich zur Mißbrauchsproblematik regelmäßig fort. VORGEHEN BEI SEXUELLEM MISSBRAUCH MINDERJÄHRIGER DURCH EHRENAMTLICH TÄTIGE PERSONEN 53. Personen, die sich des sexuellen Mißbrauchs Minderjähriger schuldig gemacht haben, werden auch in der ehrenamtlichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im kirchlichen Bereich nicht eingesetzt. 54. Bei sexuellem Mißbrauch Minderjähriger durch ehrenamtlich tätige Personen im kirchlichen Dienst gelten diese Leitlinien bezüglich der notwendigen Verfahrensschritte und Hilfsangebote entsprechend. INKRAFTTRETEN 55. Die vorstehenden Leitlinien werden zum 1. September 2010 ad experimentum für drei Jahre in Kraft gesetzt und vor Verlängerung ihrer Geltungsdauer einer Überprüfung unterzogen. Würzburg, den 23. August 2010 [ENDE DES TEXTES FÜR DIE JEWEILS VOM DIÖZESANBISCHOF FÜR SEIN BISTUM IN KRAFT ZU SETZENDE NEUE REGELUNG, WELCHE DIE BISHERIGEN LEITLINIEN ERSETZT.] Es stellt sich nun die Frage, wann genau der Zeitpunkt für eine im Falle des Falles vorzunehmende Anzeige bei den staatlichen Strafverfolgungsbehörden gegeben ist. In den Leitlinien heißt es unter Nr. 26: "sobald tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht eines sexuellen Mißbrauchs an Minderjährigen vorliegen". Meiner Meinung nach sollten die amtlichen Meldungen an die staatlichen Strafbehörden und an den Apostolischen Stuhl (Kongregation für die Glaubenslehre) gleichzeitig vorgenommen werden: wenn der Verdacht des sexuellen Mißbrauchs auf Basis der kirchlichen Voruntersuchung nämlich vorliegt, sind die Voraussetzungen für beide Schritte gegeben. Während jedoch gemäß den Leitlinien (Nr. 27) die Weiterleitung der Informationen an die Strafverfolgungsbehörde auf ausdrücklichen Wunsch des mutmaßlichen Opfers hin entfallen darf, gibt es keinerlei Ausnahme bei der Weiterleitung an den Heiligen Stuhl (vgl. Nr. 30). Wenn es dann in Nr. 31 heißt, daß bei "tatsächlichen Anhaltspunkten für den Verdacht eines sexuellen Mißbrauchs an Minderjährigen" der Diözesanbischof über das weitere Vorgehen entscheide, so darf eben gemäß Nr. 30 zuvor nicht vergessen werden, daß in solchen Fällen primär Rom selbst, der Apostolischen Stuhl, darüber entscheidet, wie weiter vorzugehen ist. Diesbezüglich wurde leider in der Nr. 36 der Leitlinien der sehr wichtige Hinweis vergessen, daß die Verjährung für das kirchliche Recht irrelevant werden kann, wenn der zuständige Diözesanbischof für einen schweren Mißbrauchsfall um Aufhebung der Verjährung (derzeit 20 Jahre ab Volljährigkeit) bittet, was von Seiten der römischen Glaubenskongregation fast immer gewährt wird und was von dieser auch ohne einen solchen Antrag vorgenommen werden kann. Leider wird in den Leitlinien auch an keiner einzigen Stelle erwähnt, daß es die kostengünstige rein kirchenrechtliche Möglichkeit einer Schadensersatzklage gibt, entweder für sich alleine oder im Zusammenhang mit der kirchenrechtlichen Strafverfolgung des oder der Täter. Opfer sexuellen Mißbrauchs können daher nach universalem kirchlichen Recht auch sogleich einen kirchlichen Rechtsanwalt beauftragen oder sich an einem Offizialat (Kirchengericht) beraten lassen bzw. überhaupt sofort eine entsprechende Klageschrift am zuständigen Kirchengericht einlaufen lassen, auch wenn kein Kontakt zur diözesan beauftragten Person(engruppe) für sexuellen Mißbrauch vorlag. Meiner Meinung nach muß noch viel stärker der unersetzliche Wert des Kirchenrechtes für die Opfer sexuellen Mißbrauchs erkannt und transportiert werden, und insofern ist die Nr. 45 der neuen Leitlinien ganz im Sinne des juridisch orientierten wertvollen Hirtenbriefes Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI. vom 19. März 2010 formuliert: "Es obliegt dem Diözesanbischof, dafür Sorge zu tragen, daß die von ihm verfügten Beschränkungen oder Auflagen eingehalten werden. Das gilt bei Klerikern auch für die Zeit des Ruhestands." Kirchenrecht widerspricht somit nicht nur in keiner Weise den Menschenrechten, sondern ist absolut ernstzunehmen und nötigenfalls auch durchzusetzen, zum Wohle der Opfer, zum Heil der Seelen und so auch zum Wohle der ganzen Katholischen Kirche. Noch im Juni 2010 hatte jedoch der verdiente katholische Kirchenrechtler Univ.-Prof. em. Dr. Klaus Lüdicke (Münster) die bisherigen Leitlinien kritisiert, daß in ihnen wesentliche Grundsätze des kirchlichen und weltlichen Strafrechtes ausgehebelt gewesen wären. Lüdicke ist der Ansicht, daß der mutmaßliche Täter mit den (in vielen Bistümern noch geltenden) alten Leitlinien aufgefordert wird, sich selbst zu belasten, was allen bekannten Rechtsgrundsätzen widerspreche: "Ein Angeklagter muß sich verteidigen und einen unabhängigen Anwalt mitbringen dürfen." Kirchliches wie weltliches Strafverfahren setzten eine Vorermittlung voraus, in der die Plausibilität der Beschuldigung und die rechtlichen Möglichkeiten eines Strafverfahrens geprüft würden. Erst dann könne es zu einem Prozeß kommen, in welchem dem Angeklagten das Recht garantiert sei, nicht zu gestehen. Die alten Leitlinien hätten dieses Recht im Interesse der Sachaufklärung unterlaufen und den Angeklagten unter moralischen Druck gesetzt, dabei mitzuwirken. Wenn er dies täte, so könne er sich später aber nach Lüdicke kaum noch verteidigen. Die ganze Problematik wird gut erfaßbar im FOCUS-Artikel vom 13. September 2010 (in der Nr. 37/10, S. 50 f.: "Täter oder Sündenbock? Pater G., Hauptverdächtiger im Mißbrauchsskandal des Klosters Ettal widerruft ein Geständnis und geht aus der Defensive"). Die Leitlinien müßten daher nach Lüdicke entweder wirklich mit dem allgemeinen Kirchenrecht übereinstimmen oder vom Heiligen Stuhl eigens approbiert werden. Wie in den Nummern 20 bis 25 der oben zitierten neuen Leitlinien aber leicht erkennbar ist, wurde die Kritik Lüdickes nicht überhört. Man wird diesbezüglich auch noch ergänzen müssen, daß von Anbeginn nicht nur das Recht auf Aussageverweigerung besteht, sondern daß dann auch die Unterschrift unterhalb eines (gemeinsamen) Gesprächsprotokolles verweigert werden kann (vgl. Nr. 22 und Nr. 23). Die oben angegebenen Leitlinien stellen nach dem jeweiligen diözesanen Inkrafttreten natürlich selbst (partikulares oder lokales) Kirchenrecht dar. Sie gelten somit aber nicht für katholische Rechtsträger außerhalb diözesaner Zuständigkeit und ebensowenig für Bischöfe der Katholischen Kirche selbst, über die alleine der Heilige Stuhl - der Papst selbst oder in seinem Namen die Kongregation für die Bischöfe bzw. ein anderes Dikasterium - entscheidet, was daher nicht in die Kompetenz kirchlicher Mitarbeiter oder Mißbrauchsbeauftragter (dieser Bischöfe) fällt, die ohne Erlaubnis des Heiligen Stuhles keine Anzeige bei den staatlichen Strafverfolgungsbehörden einbringen dürfen. (Wie Prof. em. Lüdicke richtig sagt, sind die Leitlinien bisher vom Heiligen Stuhl nicht approbiert worden.) Dies alles wurde in schwerwiegender Weise im Fall des emeritierten Diözesan- und Militärbischofs Dr. Walter Mixa zu seinem öffentlichkeitswirksamen Schaden mißachtet. Auch wenn die Leitlinien somit nicht für alle (katholisch-kirchlich beheimateten) Fälle auf dem Gebiet Deutschlands gelten, so entspricht deren Nr. 35 dem Naturrecht und gilt daher in jedem Falle: "Erweist sich ein Vorwurf oder Verdacht als unbegründet, werden die notwendigen Schritte unternommen, um den guten Ruf der fälschlich beschuldigten oder verdächtigten Person wiederherzustellen." Den katholischen Bischöfen Deutschlands ist jedenfalls für die derart sorgsam verbesserten Leitlinien herzlich zu danken, und ich selbst verbleibe an dieser Stelle mit vielen Segensgrüßen als Euer Padre Alex - Dr. iur. can. Alexander Pytlik |
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