Vorab muß klar gesagt sein: eine Vorlesung oder ein
Interview eines Papstes ist kein lehramtlicher Akt und hat daher für eine organische Lehrentwicklung der Katholischen Kirche grundsätzlich keine Relevanz. Die Gebote Gottes und die von Gott eingeschaffenen naturrechtlichen Prinzipien sind
absolut unveränderlich. Maßstab für die gesamte Sittenlehre der Katholischen Kirche bleibt gerade zum 5. und 6. Gebot die gesamte
Moralverkündigung des Dieners Gottes Johannes Paul II., und eben dieser Verkündigung sieht sich sein Nachfolger, der regierende Papst Benedikt XVI., voll und ganz verpflichtet.
Trotzdem sah sich der Direktor des vatikanischen Pressesaales, Pater Federico Lombardi SJ, gestern aufgerufen, eine
offizielle Note zu den derzeit diskutierten und vielfach von der gemeinten Ebene her schwer mißverstandenen Interview-Worten des Heiligen Vaters im Buch "
Licht der Welt: Der Papst, die Kirche und die Zeichen der Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald" über den
Gebrauch des Kondoms zu veröffentlichen. Dies liegt aber offenbar auch daran, daß der Journalist Peter Seewald zu bestimmten Fragekomplexen hingedrängt hatte, aber immerhin bei der
offiziellen Vorstellung (spät, aber) in richtiger Weise darauf hinwies: "
Alle aber wissen wir, daß es dem Papst nicht ansteht, das Präservativ zu erlauben oder nicht, sondern moralische Prinzipien aufzuzeigen." Kein Papst kann nämlich Kondome oder ungeordnete Sexualität - weder je für sich noch in Kombination - jemals wirklich "erlauben", selbst wenn er es wollte:
[
BEGINN MEINER ÜBERSETZUNG DER OFFIZIELLEN NOTE DES HEILIGEN STUHLES:]
Am Ende des
elften Kapitels des Buches "
Licht der Welt" antwortet der Papst auf zwei Fragen zum Kampf gegen AIDS und zum Gebrauch des
Kondoms, auf Fragen also, die wiederum an die Diskussion anschließen, welche nach einigen vom Papst zum Thema
ausgesprochenen Worten im Zuge seiner Reise nach Afrika im Jahr 2009 entstanden war.
Der Papst betont klar, daß er damals nicht allgemein zum Problem der Kondome Stellung nehmen, sondern überzeugend klarmachen wollte, daß das AIDS-Problem nicht einfach mit der Verteilung von Kondomen gelöst werden könne, weil dafür viel mehr zu tun sei: vorbeugen, erziehen, helfen, beraten und den Personen nahe sein, sei es, damit sie nicht erkranken, sei es für den Fall, daß sie erkrankt seien.
Der Papst bemerkt, daß sich auch im nichtkirchlichen Umfeld ein ähnliches Bewußtsein entwickelt habe, wie es aus der sogenannten ABC-Theorie hervorgehe (Abstinence [Enthaltsamkeit] – Be Faithful [Treue] – Condom [Kondom]), bei der die ersten beiden Elemente (Enthaltsamkeit und Treue) für den Kampf gegen AIDS viel entscheidender und fundamentaler seien, wohingegen das Kondom als letzter Ausweichpunkt gemeint sei, wenn die beiden ersten Punkte nicht griffen. Es müsse daher klar sein, daß das Kondom nicht die Lösung des Problems darstelle.
Der Papst weitet dann den Blick aus und besteht darauf, daß eine bloße Fixierung auf das Kondom der Banalisierung der
Sexualität gleichkomme, die so ihren Sinn als Ausdruck der Liebe zwischen Personen verliere und gewissermaßen zu einer "Droge" werde. Gegen die Banalisierung der Sexualität zu kämpfen sei Teil des großen Ringens darum, daß die Sexualität positiv gewertet werde und ihre positive Wirkung im Ganzen des Menschseins entfalten könne.
Im Licht dieser umfassenden und tiefgehenden Sicht der menschlichen
Sexualität und ihrer heutigen Problematik bekräftigt der Papst, daß "
die Kirche die Kondome natürlich nicht als wirkliche und moralische Lösung" des AIDS-Problems ansehe.
Damit reformiert oder ändert der Papst die Lehre der Kirche nicht, sondern er bestätigt sie, indem er von der Perspektive des Wertes und der Würde der menschlichen
Sexualität als Ausdruck von Liebe und Verantwortung ausgeht.
Gleichzeitig berücksichtigt der Papst eine unnormale Situation, in welcher die Ausübung der Sexualität ein echtes Risiko für das Leben des anderen darstelle.
In einem solchen Fall rechtfertigt der Papst die ungeordnete Ausübung der Sexualität moralisch nicht, sondern meint, daß der Kondomgebrauch mit dem Ziel einer Reduzierung der Ansteckungsgefahr "
ein erstes Stück Verantwortung" sei, "
ein erster Schritt auf dem Weg hin zu einer menschlicheren Sexualität" im Vergleich zum Nichtgebrauch, was den anderen der Lebensgefahr aussetze.
Damit kann der Gedankengang des Papstes bestimmt nicht als revolutionäre Wende definiert werden.
Zahlreiche Theologen und
angesehene kirchliche Persönlichkeiten haben ähnliche Positionen vertreten und vertreten sie weiter; es ist allerdings wahr, daß wir sie mit so viel Klarheit aus dem Mund eines Papstes noch nicht vernommen hatten, auch wenn dies in Interviewform geschieht und
nicht als Akt des Lehramtes.
Benedikt XVI. gibt uns also mit Mut einen wichtigen Beitrag der Klärung und Vertiefung zu einer seit langem diskutierten Fragestellung. Es ist ein origineller Beitrag, weil er einerseits die Treue zu den Moralprinzipien hochhält und Klarheit gewährt durch die Ablehnung eines illusorischen Weges, wie ihn das "
Vertrauen in das Kondom" darstellt; und weil er jedoch andererseits eine
verständnisvolle und weite Sicht zeigt, die darauf bedacht ist, die kleinen Schritte - auch wenn sie nur anfangshaft und noch konfus aufscheinen - einer geistlich und kulturell zumeist sehr verarmten Humanität in Richtung einer menschlicheren und verantwortlicheren Ausübung der
Sexualität ausfindig zu machen.
[
ENDE DER ÜBERSETZUNG DER NOTE DES HEILIGEN STUHLES ZUM INTERVIEWBUCH DES PAPSTES. Hervorhebungen und Verlinkungen von mir!]
Vergessen wurde in der gesamten Diskussion - abgesehen vom nicht-lehramtlichen Kontext - auch noch, daß es im offensichtlichen Fragezusammenhang gar nicht um eigentliche "Verhütung" ging. An sich ist das Kondom ein "reines Verhütungsmittel" (jedoch
nicht mit 100%iger Sicherheit, auch nicht gegen sexuell übertragbare Krankheiten), hingegen können einige andere gängige "
Verhütungsmittel" in Wirklichkeit eine frühabtreibende und somit direkt gegen das 5. Gebot verstoßende tötende Wirkung menschlichen Lebens haben, und letztere schützen zudem 0,0 % gegen Krankheitsübertragungen. Auch die besondere Verurteilung solcher potentiell frühabtreibender Verhütungsmittel - so wie die
unveränderliche negative Bewertung direkter Verhütung überhaupt - ist in keiner Weise vom Interview des Papstes berührt.
Der Heilige Vater hat vielmehr innerhalb der Logik
zu beichtender Sünden gedacht: wenn ein Prostituierter sein Leben definitiv umstellen möchte, seinen widersittlichen Beruf verläßt und durch das Sakrament der Buße (Lossprechung) einen Neuanfang in seinem Leben vornehmen möchte, so hat er zuvor ein vollständiges Sündenbekenntnis (seit der letzten Beichte) abzulegen: wenn er HIV-positiv war, so wird er auch den erschwerenden Umstand zu beichten haben, daß er nicht einmal versucht hätte, die anderen so weit wie möglich zu "schützen". Auch deshalb ist eine Fragestellung in meinem seit langem angebotenen
Beichtspiegel so formuliert: "
Habe ich jemanden beim Geschlechtsverkehr dem Risiko einer schweren oder tödlichen Krankheit (z. B. AIDS - HIV positiv) ausgesetzt, über die eigene Krankheit hinterhältig geschwiegen ..." Es ging also bei der Interviewpassage nicht um - unveränderliche! - Prinzipien der katholischen Sittenlehre und des menschlichen Naturgesetzes überhaupt: auch weiterhin heiligt der Zweck die Mittel nicht!
Viel Freude beim Lesen des neuen Papstinterview-Buches wünscht Euch über die kommende Adventzeit hinaus Euer Padre Alex - Vizeoffizial Dr. Alexander Pytlik