Nun bestätigte auch der für die aktuelle liturgische Frage innerhalb der lateinischen Rituskirche der Katholischen Kirche (nach dem Papst) fachlich mitzuständige Präsident der vom Diener Gottes Johannes Paul II. im Jahre 1988 geschaffenen
Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei, Darío Kardinal Castrillón Hoyos, kurz nach der Abreise Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI. bei einer Ansprache vor lateinamerikanischen Bischöfen in Aparecida (Brasilien) am 16. Mai 2007, daß der Papst auf dem ganzen Erdkreis mehr Zelebrationen im älteren lateinischen Ritus erlauben werde. Es gehe um die Möglichkeit zur Feier der Heiligen Messe und der anderen heiligen Sakramente nach dem alten lateinischen Ritus für alle lateinischen Katholiken, vornehmlich nach den Büchern, die 1962 unter dem seligen Papst Johannes XXIII. promulgiert worden seien. An dieser Liturgie, die niemals abgeschafft worden sei, bestehe heute ein neues Interesse. Auch aus diesem Grund denke der Papst, daß die Zeit gekommen sei, in Ernstnahme des Votums der ersten Kardinalskommission des Jahres 1986 den Zugang zu erleichtern und aus der alten Liturgie "
eine außerordentliche Form des einen Römischen Ritus zu machen". Dies sei kein Schritt zurück hinter die lateinische Liturgiereform des Jahres 1970. Vielmehr wolle Papst Benedikt XVI. der Kirche alle Schätze der lateinischen Messe zur Verfügung stellen, die über Jahrhunderte das spirituelle Leben von Katholiken genährt hätten.
Kardinal Castríllon Hoyos verwies auch auf gute Erfahrungen mit einigen vom Heiligen Stuhl approbierten Gemeinschaften, die "
in Frieden und Gelassenheit" nach dem alten lateinischen Ritus zelebrierten, wie etwa im deutschen Sprachraum das vom Kardinal an erster Stelle genannte Oratorium bzw.
Institut St. Philipp Neri (in Berlin und Trier). Er nannte auch das
Institut des Guten Hirten in Bordeaux (Frankreich) und eine in Kürze kanonisch erstehende kontemplative Gemeinschaft
Oase Jesu des Priesters (
Oasis de Jesús Sacerdote) in Barcelona (Spanien). Natürlich vergaß der Kardinal nicht, auch die gelungene großartige Rückkehr einer ganzen Diözese in Lateinamerika dankbar zu erwähnen: nach fünf Jahren habe die volle Gemeinschaft mit dem Heiligen Stuhl für
Campos als Apostolischer Administratur gute Früchte getragen (damals kehrten mit einem Schlag 50 Priester, 50 Seminaristen, 100 Ordensfrauen und 25000 Gläubige zurück), mehr noch, einige brasilianische Diözesen hätten Kontakt zur Apostolischen Administratur Campos aufgenommen, um den mit der alten lateinischen Liturgie innig verbundenen Gläubigen Priester geben zu können. Das weltweit geplante Projekt für die lateinische Rituskirche habe in Campos (Brasilien) eine erste Teilrealisierung gefunden, da dort die friedliche Koexistenz der Formen des einen Römischen Ritus eine wunderschöne Wirklichkeit sei. Der Heilige Stuhl hoffe, daß dieses Modell auch an anderen Orten der Kirche gute Früchte zeitigen werde, wo Katholiken mit unterschiedlichen liturgischen Gefühlslagen zusammenlebten. Und Papst Benedikt XVI. hoffe, daß dieses Zusammenleben auch ein Anreiz für jene Traditionalisten sein werde, die noch weiter weg blieben.
Das Besondere an der historischen Ansprache Seiner Eminenz Darío Kardinal Castrillón Hoyos ist, daß er ausdrücklich darauf hinweist, daß die Päpstliche Kommission
Ecclesia Dei nicht mehr nur die ursprüngliche Aufgabe besitze, traditionalistische Gläubige aus einer schismatischen Situation zu befreien bzw. die volle Rückkehr der kanonisch derzeit (noch) nicht existenten
Priesterbruderschaft St. Pius X. zu suchen, sondern nach dem Willen des regierenden Heiligen Vaters weite das genannte römische Dikasterium seinen Dienst aus, um das Ansinnen aller Katholiken in ihrer jeweiligen Sensibilität aufzunehmen und zufriedenzustellen, was die alte lateinische Liturgie betrifft, auch wenn diese Gläubigen keinerlei Bezug zu schismatisch orientierten Gemeinschaften bzw. zu Gruppen hätten, welche sich auf Erzbischof Marcel Lefebvre und seine nicht genehmigten Bischofsweihen beriefen. Natürlich bleibe das Gebet und die Suche um Einheit aller Christen das Anliegen schlechthin, aber die Päpstliche Kommission
Ecclesia Dei solle darüber hinaus ein Organ des Heiligen Stuhles mit dem ausdrücklichen Zweck sein, den Wert der traditionellen lateinischen Liturgie zu bewahren. Es gehe um mehrere hunderttausend Gläubige auf dem ganzen Erdkreis, und besonders in Frankreich, in den USA, in Brasilien, in Italien, in Skandinavien, in Australien und in China wachse das Interesse von Jugendlichen am alten Ritus. Damit ist der letzte Beweis vor dem Erscheinen des
Motu proprio erbracht, daß das Anliegen des Heiligen Vaters über eine zeitweilige Versöhnung mit bestimmten Gläubigen hinausgeht: es geht vielmehr um eine
Normalisierung der krisenhaften liturgischen Situation in der gesamten lateinischen Rituskirche innerhalb der Katholischen Kirche, und dabei soll die breitere positivrechtliche und unbürokratischere Zulassung der Zelebrationen im älteren lateinischen Ritus eine bedeutende, wenn auch nicht die einzige oder wichtigste Rolle spielen. Auch andere Kardinäle haben bereits ihr Wissen über das kommende Dokument des Heiligen Stuhles kundgetan. So hat Walter Kardinal Kasper in einem Schreiben vom 3. April 2007 festgehalten, daß die Entscheidung zur Freigabe der sogenannten Alten Messe gefallen sei: "
Während ich nicht weiß, was der Papst in seinem endgültigen Text festlegen will, ist klar, daß die getroffene Entscheidung jetzt nicht mehr geändert werden kann." Und der dem Papst seit Jahrzehnten besonders nahe stehende Staatssekretär, Seine Eminenz Tarcisio Kardinal Bertone, hatte im französischen Figaro-Magazin vom 31. März 2007 (Seiten 56 - 60) unter anderem folgende Fragen beantwortet:
Le Figaro: Kardinal Ratzinger und jetzt Papst Benedikt XVI. hat so und so oft die mißbräuchlich eingestuften Interpretationen der Liturgie verurteilt.
Kardinal Bertone: Die Anwendung der großen Ausrichtungen des Konzils kannte unglücklicherweise mehr oder weniger irrtümliche Übersetzungen, die dann zu beachtlichen Verarmungen geführt haben. Die Früchte der liturgischen Reform des Konzils bleiben indes beachtlich. Es ist wahr, daß Mißbräuche bekämpft werden müssen, denn ein beträchtlicher Teil des christlichen Volkes hat sich wohl aufgrund dieser Abirrungen von der Kirche entfernt. Die Irrtümer sind nicht in den Texten des Konzils, wohl aber im Verhalten derjenigen zu suchen, die für sich beansprucht haben, die liturgische Reform des II. Vatikanums nach ihrem eigenen Kopf zu interpretieren.
Le Figaro: Ist ein Dekret, das die Möglichkeit zuläßt, die Messe in Latein nach dem vorkonziliaren Ritus (die sog. Messe Pius V.) zu zelebrieren, immer noch vorgesehen?
Kardinal Bertone: Der Wert der liturgischen konziliaren Reform ist unbestritten. Aber um das große liturgische Erbe nicht zu verlieren, das durch den heiligen Pius V. hinterlassen worden ist, und um auch dem Wunsch der Gläubigen entgegenzukommen, die an Messen dieses Ritus im Rahmen des 1962 von Papst Johannes XXIII. herausgegebenen Missales mit seinem eigenen Kalender teilzunehmen wünschen, gibt es eigentlich keinen gültigen Grund, den Priestern der ganzen Welt nicht die Möglichkeit zu geben, nach dieser Form zu zelebrieren. Die Erlaubnis des Obersten Hirten wird selbstverständlich die Gültigkeit des Ritus Pauls VI. bestehen lassen. Die Veröffentlichung des Motu proprio, das diese Erlaubnis präzisiert, wird geschehen, aber der Papst selber wird die Beweggründe und den Rahmen seiner Entscheidung erklären. Der Oberste Hirte wird seine Sicht der Verwendung des alten Missale dem christlichen Volk und den Bischöfen persönlich darlegen.
Und der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz Deutschlands, Karl Kardinal Lehmann, hatte gegenüber der
Berliner Morgenpost am 3. Januar 2007 erklärt: "
Der Papst ist bestrebt, das andauernde oder drohende Schisma zu beseitigen beziehungsweise zu verhindern. Als Bischof muß ich bestrebt sein, alle Mitglieder der Kirche in ihren ernsthaften Anliegen zu verstehen und ihnen auch, soweit dies möglich ist, entgegenzukommen. Deswegen habe ich auch in einem Fall die Erlaubnis zur Feier der 'alten Messe' im Bistum (Mainz) gegeben. Der wirkliche Bedarf ergibt sich im übrigen nicht aus manchmal lautstark vorgetragenen Forderungen (...) Ich bin selbstverständlich für die Wertschätzung der lateinischen Sprache und Kultur. Aber ich entdecke nicht selten hinter dem Ruf zur Messe von 1962 dogmatische Abwertungen unserer nach dem Konzil erneuerten Eucharistiefeier, die ich keinesfalls teilen kann. Mit Trauer und Bedauern muß ich auch feststellen, daß in manchen Unterschriftenlisten Kinder und solche Leute geführt werden, die mit Sicherheit kein Latein können. Im übrigen wäre mir bei der Einführung der erneuerten Messe 1969 eine längere Übergangszeit mit Duldung der 'alten Messe' lieber gewesen. Ich habe dies Kardinal Julius Döpfner damals dringend geraten. Papst Paul VI. wollte jedoch einen entschiedenen und klaren Übergang." Und damit wiederholte Kardinal Lehmann etwas, das der verstorbene Franz Kardinal König auch mindestens einmal formuliert hatte: es war ein zu rascher Wandel, die Übergangszeit sei zu kurz gewesen. Kardinal Lehmann muß auch insofern rechtgegeben werden, daß die Wertschätzung der älteren lateinischen Liturgie keinesfalls zu einer Abwertung neuer lateinischer Liturgie führen darf, wenn diese in der nicht mehr rubrikenmäßig zu verstehenden
Rahmenordnung zelebriert wird. (Zum Verstehen jedes einzelnen Wortes der Liturgie habe ich bereits
Stellung genommen.) Meßopfer ist objektiv Meßopfer. Allerdings wird man auch zugeben müssen, daß heute in vielen lateinischen Breiten Priester all zu oft und ohne besondere Begründung die Konzelebration bevorzugen und die liturgisch reichere Einzelzelebration trotz der kirchenrechtlichen Freiheit, beides zu wählen, nicht gewählt wird, was durchaus zu einer gewissen Verarmung der Zelebrationskunst geführt haben könnte. Auch hier kann der ältere lateinische Ritus zu einer
Normalisierung beitragen.
So bleibt mir zum Abschluß dieses durchaus hoffnungsvollen Eintrages nur der Aufruf, sich der Gebetsbitte des Kurienkardinals Castríllon Hoyos anzuschließen: bitten wir also den Herrn, daß dieses Projekt des Heiligen Vaters sehr bald für die Einheit der Kirche realisiert werde. Euer
Padre Alex - Vizeoffizial Mag. Mag. Dr. Alexander Pytlik
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