Tuesday, January 31. 2012
Posted by Padre Alex / Dr. Alexander Pytlik
in Kirchenrecht, News Kommentare
Comment (1) Trackbacks (0) RECHTSPOSITIVISMUS WIRD KIRCHENRECHT NICHT GERECHT
Am 21. Januar 2012 hat Seine Heiligkeit Papst Benedikt XVI. um 11.30 Uhr in der Sala Clementina des Apostolischen Palastes die Prälaten-Auditoren, die Beamten und Anwälte der Rota Romana wiederum aus Anlaß der feierlichen Eröffnung des Gerichtsjahres in Audienz empfangen. Ich habe die italienische Originalansprache des Papstes ins Deutsche übertragen:
ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT XVI. ZUR ERÖFFNUNG DES GERICHTSJAHRES DER RÖMISCHEN ROTA Liebe Mitglieder des Gerichtshofes der Römischen Rota! Es ist für mich Grund zur Freude, Sie heute anläßlich der Eröffnung des Gerichtsjahres beim jährlichen Zusammentreffen zu empfangen. Mein Gruß geht an das Kollegium der Prälaten-Auditoren, begonnen beim Dekan, Bischof Antoni Stankiewicz, dem ich für seine Worte danke. Einen herzlichen Gruß auch an die Beamten, die Anwälte, die weiteren Mitarbeiter und an alle Anwesenden! Bei dieser Gelegenheit bekräftige ich erneut meine Hochschätzung für den heiklen und wertvollen Dienst, den Sie in der Kirche leisten und der einen immer wieder neuen Einsatz erfordert, wegen seiner Bedeutung, den dieser Dienst für das salus animarum des Gottesvolkes hat. Beim Zusammentreffen in diesem Jahr möchte ich von einem wichtigen kirchlichen Geschehen ausgehen, in dem wir uns in einigen Monaten befinden werden; ich beziehe mich auf das Jahr des Glaubens, das ich in den Fußstapfen meines verehrten Vorgängers, des Dieners Gottes Paul VI. habe ausrufen wollen, zum 50. Jahrestag der Eröffnung des II. Ökumenischen Vatikanischen Konzils. Dieser große Papst hatte - wie ich in dem Apostolischen Schreiben zur Ausrufung festgehalten habe - zum ersten Mal eine solche Zeit des Nachdenkens verfügt und war sich "der schweren Probleme der Zeit – vor allem in bezug auf das Bekenntnis des wahren Glaubens und seine rechte Auslegung – wohl bewußt." [1 = Motu proprio Porta fidei, 11. Oktober 2011, 5: L’Osservatore Romano, 17. - 18. Oktober 2011, S. 4.] Indem ich bei einem ähnlichen Erfordernis anknüpfe und zu einem Bereich komme, der Ihren Dienst für die Kirche noch direkter betrifft, möchte ich heute meinen Blick auf einen primären Aspekt des gerichtlichen Dienstes lenken, das heißt auf die Interpretation des kirchlichen Gesetzes im Hinblick auf seine Anwendung.[2 = Vgl. can. 16 § 3 CIC; can. 1498 § 3 CCEO.] Der Zusammenhang mit dem soeben angesprochenen Thema - die rechte Auslegung des Glaubens - beschränkt sich natürlich nicht nur auf eine semantische Übereinstimmung, wenn man nämlich bedenkt, daß das kirchliche Recht in den Glaubenswahrheiten sein Fundament und seinen eigenen Sinn findet und daß die lex agendi gar nicht anders kann, als die lex credendi widerzuspiegeln. Die Frage der Interpretation des kirchlichen Gesetzes bildet außerdem einen derart weitläufigen und komplexen Gegenstand, bei dem ich mich also auf ein paar Anmerkungen beschränken werde. Zunächst ist die Hermeneutik des kanonischen Rechtes strikt gebunden an die Konzeption des Gesetzes der Kirche selbst. Wenn man dazu tendieren würde, das kirchliche Recht mit dem System der kirchlichen Gesetze zu identifizieren, würde die Kenntnis dessen, was in der Kirche juridisch ist, im wesentlichen aus dem Verständnis dessen bestehen, was die Gesetzestexte festlegen. Auf den ersten Blick scheint dieser Zugang das menschliche Gesetz vollständig aufzuwerten. Aber die Verarmung ist offensichtlich, die mit dieser Auffassung einherginge: mit dem praktischen Verlust des Naturrechts und des positiven göttlichen Rechtes wie auch des vitalen Bezugs jeden Rechtes zur Gemeinschaft und Sendung der Kirche wird die Arbeit des Auslegers des lebendigen Kontakts mit der kirchlichen Realität beraubt. In letzter Zeit haben einige Denkströmungen vor der übertriebenen Orientierung an den Gesetzen der Kirche gewarnt, begonnen bei den Gesetzesbüchern (Codices), was sie eben genau als Manifestation des Legalismus bewerten. Daraus folgend wurden hermeneutische Wege vorgeschlagen, die einen mit den theologischen Grundlagen und mit den ebenso pastoralen Intentionen der kanonischen Norm besser im Einklang stehenden Zugang erlauben, was zu einer juridischen Kreativität führt, mit der die jeweilige Situation der entscheidende Faktor zur Ermittlung des authentischen Sinns der gesetzlichen Vorschrift im Einzelfall werden würde. Die Barmherzigkeit, die Billigkeit (Aequitas), die oikonomia - für die orientalische Tradition von solchem Wert - sind einige der Begriffe, auf die man sich bei diesem Auslegungsvorgang stützt. Schon jetzt sei gesagt, daß dieser Ansatz den Positivismus, der angeklagt wird, nicht überwindet, indem der Ansatz sich darauf beschränkt, ihn durch einen anderen Positivismus zu ersetzen, bei dem sich das Werk menschlicher Interpretation zum Protagonisten beim Festlegen dessen erhebt, was juridisch sei. Dabei geht der Sinngehalt eines objektiven Rechtes ab, das zu erheben wäre, weil der Ansatz Spielball von Überlegungen bleibt, die beanspruchen, theologisch oder pastoral zu sein, doch am Ende sind sie dem Risiko der Willkür ausgesetzt. Auf solche Weise wird die Gesetzesinterpretation entleert: im Grunde besteht kein Interesse, die Anordnung des Gesetzes zu verstehen, da es ja dann dynamisch für jegliche Lösung angepaßt werden kann, selbst wenn sie seinem Buchstaben widerspricht. Sicherlich gibt es in diesem Fall einen Bezug zu den Phänomenen des Lebens, aus denen man jedoch nicht die in ihnen enthaltene rechtliche Dimension erfaßt. Es gibt einen anderen Weg, auf dem das angemessene Verständnis des kanonischen Gesetzes die Straße für eine Auslegungsarbeit eröffnet, die sich in die Suche nach der Wahrheit des Rechtes und der Gerechtigkeit in der Kirche einfügt. Wie ich den Bundestag meines Landes im Reichstag von Berlin aufmerksam machen wollte [3 = Vgl. Ansprache vor dem Bundestag der Bundesrepublik Deutschland, 22. September 2011: L’Osservatore Romano, 24. September 2011, S. 6 f.], ist das wahre Recht von der Gerechtigkeit nicht zu trennen. Das Prinzip gilt selbstverständlich auch für das kanonische Gesetz, und zwar in dem Sinn, daß es nicht in einem rein menschlichen Normensystem eingeschlossen sein kann, sondern es muß mit einer gerechten Ordnung der Kirche verbunden sein, in der ein höheres Gesetz gilt. In diesem Blickwinkel verliert das von Menschen verabschiedete positive Gesetz seinen Vorrang, den man ihm geben möchte, weil das Recht nicht mehr einfach mit diesem identisch ist; damit wird jedenfalls das menschliche Gesetz aufgewertet, so weit es Ausdruck der Gerechtigkeit ist, vor allem so weit es göttliches Recht bekundet, aber auch durch das, was es als legitime Bestimmung von Menschenrecht einführt. Solchermaßen wird eine Gesetzesauslegung möglich, die authentisch juridisch ist, und zwar in dem Sinn, daß sie sich in Einklang mit der eigentlichen Bedeutung des Gesetzes begibt und so die entscheidende Frage nach dem stellen kann, was in jedem Einzelfall gerecht sei. In diesem Zusammenhang sei beachtet, daß es zur Erkenntnis der eigentlichen Bedeutung des Gesetzes immer nötig ist, auf die Wirklichkeit zu blicken, die geregelt wird, und zwar nicht nur, wenn das Gesetz vorwiegend eine Bekundung des göttlichen Rechtes darstellt, sondern auch, wenn es in fundamentaler Weise menschliche Regeln aufstellt. Diese müssen tatsächlich auch im Lichte der zu regelnden Wirklichkeit interpretiert werden, die immer einen Kern natürlichen und göttlichen Rechtes beinhaltet, mit dem sich nämlich jede Vorschrift in Übereinstimmung befinden muß, um als vernünftig und wahrhaft juridisch zu gelten. Mit einer solchen realistischen Perspektive erhält die bisweilen schwierige Bemühung zur Auslegung einen Sinn und ein Ziel. Die Anwendung der vom Codex des Kanonischen Rechtes im Canon 17 vorgesehenen Interpretationsweisen, begonnen bei «der im Text und im Kontext wohl erwogenen eigenen Wortbedeutung», ist nicht mehr nur eine logische Übung. Es handelt sich um eine Aufgabe, die vom authentischen Bezug zur komplexen Wirklichkeit der Kirche belebt wird und so gestattet, den wahren Sinn des Buchstabens des Gesetzes zu ergründen. Es passiert dann etwas Ähnliches, wie ich es im Zusammenhang des inneren Vorgangs des heiligen Augustinus bei der Bibelauslegung gesagt habe: «die Überschreitung des Buchstabens hat den Buchstaben selbst glaubwürdig gemacht». [4 = Vgl. Nachsynodales Apostolisches Schreiben Verbum Domini, 30. September 2010, 38: AAS 102 (2010), S. 718, Nr. 38.] Es bestätigt sich, daß also auch in der Auslegung des Gesetzes der authentische Horizont in der juridischen Wahrheit besteht, die zu lieben, zu suchen und der zu dienen ist. Daraus folgt, daß die Interpretation des kanonisches Gesetzes in der Kirche erfolgen muß. Es handelt sich dabei nicht um einen rein externen Umstand der Umwelt: es ist vielmehr ein Verweis auf den eigentlichen Humus des kanonisches Gesetzes und der Wirklichkeiten, die von diesem geregelt werden. Das "Sentire cum Ecclesia" hat seinen Sinn auch in der Disziplin aufgrund der lehrmäßigen Grundlagen, die in den gesetzlichen Vorschriften der Kirche immer präsent und wirksam sind. Auf diese Weise muß auch gegenüber dem kanonischen Gesetz die Hermeneutik der Erneuerung in der Kontinuität angewendet werden, von der ich mit Bezug auf das II. Vatikanische Konzil gesprochen habe [5 = Vgl. Ansprache an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der Römischen Kurie, 22. Dezember 2005: AAS 98 (2006), S. 40 - 53], welches so eng mit der geltenden kirchenrechtlichen Gesetzgebung verbunden ist. Die christliche Reife führt dazu, das Gesetz immer stärker zu lieben und es verstehen sowie mit Treue anwenden zu wollen. Diese Grundeinstellungen gelten für alle Interpretationskategorien: ausgehend von der wissenschaftlichen Forschung des kirchlichen Rechtes über die Arbeit der im Gerichts- oder Verwaltungdienst tätigen juridischen Mitarbeiter bishin zur täglichen Ermittlung der gerechten Lösungen im Leben der Gläubigen und der Gemeinschaften. Es braucht einen Geist der Fügsamkeit, um die Gesetze anzunehmen, indem versucht wird, mit Ehrlichkeit und Hingabe die juridische Tradition der Kirche zu studieren, damit man sich mit ihr identifizieren kann, aber auch mit den von den Hirten erlassenen gesetzlichen Anordnungen, besonders mit den päpstlichen Gesetzen sowie mit dem Lehramt zu kirchenrechtlichen Fragestellungen, welches schon als solches bei all dem bindet, was es über das Recht lehrt. [6 = Vgl. JOHANNES PAUL II., Ansprache an die Römische Rota, 29. Januar 2005, 6: AAS 97 (2005), S. 165 f.] Nur auf diese Weise können die Fälle erkannt werden, bei denen die konkreten Umstände eine Lösung der Aequitas erforderlich machen, um die Gerechtigkeit zu erreichen, für welche die allgemeine menschliche Norm nicht Vorsorge treffen konnte, und so wird man in der Lage sein, im Geist der Gemeinschaft das darzulegen, was der Verbesserung der Gesetzgebung dienen kann. Diese Überlegungen erhalten ein besonderes Gewicht im Umfeld der Gesetze, welche den konstitutiven Akt der Ehe und ihres Vollzuges sowie den Empfang der heiligen Weihe betreffen, und im Umfeld dessen, was die dementsprechenden Prozesse betrifft. Hier wird der Einklang mit dem wahren Sinn des Gesetzes der Kirche eine Frage weitreichender und tiefgehender praktischer Auswirkung auf das Leben der Personen und der Gemeinschaften und erfordert eine besondere Aufmerksamkeit. Insbesondere müssen auch alle juridisch verbindlichen Mittel angewendet werden, die darauf ausgerichtet sind, jene Einheit der Auslegung und der Anwendung der Gesetze zu garantieren, die von der Gerechtigkeit verlangt wird: das päpstliche Lehramt, besonders was diesen Bereich betrifft und was vor allem in den Ansprachen an die Rota Romana enthalten ist; die Rechtsprechung der Rota Romana, über deren Bedeutung ich bereits zu Ihnen sprechen konnte [7 = Vgl. Ansprache an die Römische Rota, 26. Januar 2008: AAS 100 (2008), S. 84 - 88]; die von den anderen Dikasterien der Römischen Kurie erlassenen Vorschriften und Erklärungen. Diese hermeneutische Einheitlichkeit bei dem, was wesentlich ist, schätzt die Aufgaben der lokalen Gerichte in keiner Weise gering, die ja als erste berufen sind, sich mit den komplexen Situationen der Wirklichkeit auseinanderzusetzen, welche sich in jedem kulturellen Kontext ergeben. Jedes unter ihnen ist tatsächlich daran gebunden, gegenüber der Wahrheit des Rechts mit einem Bewußtsein echter Hochschätzung vorzugehen, indem es versucht, bei der Anwendung der gerichtlichen und verwaltungsmäßigen Mittel die Gemeinschaft in der Disziplin als wesentlichen Aspekt der Einheit der Kirche exemplarisch zu verwirklichen. Indem ich mich dem Ende dieses Treffens und der Reflexion nähere, möchte ich an die jüngste Neuerung erinnern - die Bischof Stankiewicz erwähnt hat - kraft derer die Kompetenzen bei den Vorgehensweisen zur Dispens von der geschlossenen und nicht vollzogenen Ehe und die Fälle der Weihenichtigkeit einem Büro bei diesem Apostolischen Gerichtshof übertragen worden sind.[8 = Vgl. Motu proprio Quaerit semper, 30. August 2011: L’Osservatore Romano, 28. September 2011, S. 7.] Ich bin sicher, daß es im Hinblick auf diese neue kirchliche Aufgabe eine großherzige Antwort geben wird. Indem ich bei Ihrem wertvolles Wirken, das eine getreue, tägliche und anspruchsvolle Arbeit erfordert, Ermutigung schenken möchte, empfehle ich Sie der Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, dem Spiegel der Gerechtigkeit, und erteile Ihnen gerne den Apostolischen Segen. [ENDE MEINER ÜBERSETZUNG DER PÄPSTLICHEN ROTAANSPRACHE 2012.] Es freut mich sehr, daß der Heilige Vater diesmal sehr klar einen sturen Rechtspositivismus zurückweist, der dem kirchlichen Recht niemals gerecht wird. Es ist doch ärgerlich, wenn einem gerade im kirchenrechtlichen oder liturgischen Bereich manchmal "reine Rechtspositivisten" begegnen, die den Sinn des Kirchenrechtes und der kirchlichen Gesetzgebung verdunkeln und sogar manchem die weitere Beschäftigung mit dem Kirchenrecht vergällen. In Wirklichkeit ist und bleiben das Studium und die Beschäftigung mit dem Kirchenrecht eine spannende Angelegenheit, aber wer keinen naturrechtlichen Zugang hat, wird der Versuchung zu irgendeiner Form des Rechtspositivismus immer ausgesetzt sein. Ein gutes Jahr 2012 wünscht Euch allen Padre Alex - Dr. iur. can. Alexander Pytlik Trackbacks
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Bei der tatsächlich erlebbaren Gerichtspraxis der Kirchenpraxis bleibt aber leider dieser Hinweis, der nur bekräftigt, was Menschen mit Glaubenssinn ohnehin wußten, nur sehnsüchtig erhoffte Zukunft. So manches Unrecht ist ja bereits durch diesen unseligen Rechtspositivismus geschehen. Das betrifft ja auch Verjährungsfristen u. ä., wo sich die Kirche oft fast brutal an weltliche Gesetzesregelungen "hielt", anstatt ihr eigenes inneres Gesetz zu befragen, was sich im Einzelfall wie eine Aufspaltung der Gerechtigkeit - weltlich, kirchlich - liest. Oft genug namens eines völlig falsch verstandenen "Schutzes" der Institution Kirche hat man sich sogar auf weltliche Gesetze berufen, in Angelegenheiten, die Kircheninterna waren. Auch so mancher Mobbingfall zählt dazu, wo die Opfer zynisch an Gesetze verwiesen wurden, ohne nach Gerechtigkeit zu fragen.
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