Alle regierenden katholischen Bischöfe können aus der amerikanischen Erfahrung lernen. Das besagt eine sehr gelungene und kompakte Analyse von John Allen, Chefkorrespondent beim National Catholic Reporter, einer in den USA erscheinenden "unabhängigen" katholischen Zeitung. Meine Übersetzung folgt der am 12. Februar 2010 editierten Version in der
Irish Times (eines längeren Artikels, der zuerst vom
www.ncronline.org publiziert wurde.) Während die katholischen Bischöfe Irlands auf dem Weg nach Rom sind, um den
von katholischen Klerikern begangenen sexuellen Mißbrauch anvertrauter Minderjähriger mit Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI. zu besprechen, bietet John Allen, ein langjähriger Beobachter der amerikanischen Situation, für die betroffenen Teilkirchen Ratschläge an:
1. GEHT NICHT IN DIE DEFENSIVE
Als die Krise um den
sexuellen Mißbrauch durch Kleriker in den USA ihrem Höhepunkt zuschritt, gab es die Versuchung, sich darüber zu beschweren, daß die Lawine an Kritiken und Prozessen gegenüber der Kirche nicht fair gewesen sei. Einige meinten, daß die Krise für Leute als Ausrede firmiert habe, um mit dem Katholizismus ihr Hühnchen zu rupfen, und daß eine
historische antikatholische Befangenheit in den Medien und in anderen Elitebereichen der Gesellschaft im Spiel gewesen sei.
Im Rückblick waren diese Vorwürfe alle in einem gewissen Ausmaß wahr, aber dies laut auszusprechen, war gewöhnlich kontraproduktiv. Solches Wehklagen - besonders wenn es vom Klerus kam - verstärkte das Bild nach außen, als ob der Kirche mehr an Selbstverteidigung gelegen wäre als mit sich ins reine zu kommen, und wahrscheinlich ermutigte es auch Kritiker, deren Sache voranzutreiben.
Es gibt reichlich Anlaß für die Kirche, zerknirscht zu sein, und eine Reue verbunden mit dem klaren Willen, die Ursachen des Skandals auszumerzen, ist genau das, was die Leute bei den ersten Kommentaren hören wollen, also nicht etwas, das so klingt wie eine Ausrede.
2. DENKT NACH, BEVOR IHR HANDELT
Während einer Krise gibt es die natürliche Tendenz, etwas tun zu wollen - irgendetwas - was das Bluten stoppen könnte. Manchmal jedoch kann dieser Druck, zu handeln, die Dinge schlechter machen als sie sind.
Ein Beispiel ist das Treffen der katholischen Bischöfe der USA in Dallas (2002). Die Bischöfe beschlossen neue harte Vorgehensweisen beim sexuellen Mißbrauch, was zum großen Teil einen Fortschritt darstellte. Doch unter diesen Maßnahmen war auch eine Norm, welche die
Entlassung aus dem Klerikerstand auf der Basis eines bischöflichen Verwaltungsaktes ohne Möglichkeit einer formellen Verteidigung oder eines Rekurses vorsah. Kirchenrechtler wußten, daß dies in Rom kaum durchgehen würde, und
der Heilige Stuhl wies diese Bestimmung auch tatsächlich ab.
Ein Gipfeltreffen zwischen den vatikanischen Offizialen und den katholischen Bischöfen der USA wurde angesetzt, um eine Vereinbarung auszuarbeiten, die auch die
Möglichkeit kanonischer Gerichtsverhandlungen als einen Weg einschloß, um die gebührenden prozessualen Rechte zu schützen. Diese neuen Normen wurden von den katholischen Bischöfen der USA im November beschlossen und erhielten Rekognition aus Rom. Was immer jemand vom Ergebnis denken mag, aber diese Verzögerung schürte öffentliche Wahrnehmungen, daß Rom es nicht verstanden hätte, daß die Bischöfe nicht die Kurve kriegten und daß die Kirche ihre Entscheidung in die Länge zog oder die Augen vor der Wahrheit verschloß.
Die katholische Kirche Irlands wird wohl ihre eigenen Vorgehensweisen beschließen oder ihre eigenen neuen Strukturen schaffen müssen, und es wird Druck geben, dies schnell zu tun. Aber bevor die Schritte unternommen werden, ist es eine gute Idee, daß alle abgestimmt handeln.
3. ERFINDET NICHT DAS RAD NEU
Eine weitere Versuchung, die von der Geschwindigkeit, wie die Dinge sich während einer Krise fortentwickeln, provoziert wird, besteht darin, alles so zu behandeln, als ob es zum ersten Mal geschehe. Als sich die Krise in den Vereinigten Staaten entwickelte, kann ich mich an Gespräche mit Freunden in Kanada erinnern, die in den späten 80er- und in den frühen 90er-Jahren durch eine ähnliche Erfahrung hindurchmußten und die ihre Köpfe schüttelten angesichts des Weges, auf dem wir ihre Fehler zu wiederholen schienen. Einige Amerikaner, die auf die irische Situation blicken, dürften heute ähnlich reagieren. Ein Beispiel ist die Jagd nach einem schlagenden Beweis in Rom, der zeigen sollte, daß sich die Vertuschung sexuellen Mißbrauchs ihren Weg bis an die Spitze gebahnt hätte, mit dem üblichen "Beweis" des vatikanischen Dokumentes aus dem Jahre 1962 namens "
Crimen Sollicitationis", was im Bericht der Murphy-Kommission angeführt wird.
Aber das mit "Crimen Sollicitationis" ist ein reines Ablenkungsmanöver.
Abgesehen von der
sachlichen Unrichtigkeit liegt das Problem der Jagd nach dem schlagenden Beweis hier darin, daß die Krise sexuellen Mißbrauchs dann mehr wie ein Problem der Gesetze als ein Problem der Kultur erscheint. Die Kirche aber hatte immer eine
Fülle von Gesetzen gegen sexuelle Sünden. Was der Katholizismus jedoch auch hatte, war eine tief verwurzelte Kultur, sogar dann wegzuschauen, wenn Priester in abscheulichen Handlungen verwickelt waren, also eine Kultur, welche den Opfern nicht dieselbe Aufmerksamkeit schenkte. Wer eben so handelte, konnte tatsächlich den ganzen Weg an die Spitze gehen.
Diese Kultur zu reparieren, ist nicht so leicht wie einen Schalter in Rom anzumachen, indem ein Gesetz aufgehoben und ein anderes geschaffen wird.
4. KONTAKTIERT DEN PAPST FRÜHZEITIG UND OFT
Es ist eine Tatsache des Lebens, daß einige Leute erst dann glauben, daß es die Katholische Kirche ernst meint, wenn sie es direkt vom Papst hören. Kardinal Seán Brady and Erzbischof Diarmuid Martin reisten im Dezember 2009 nach Rom, und der Heilige Stuhl gab
eine Erklärung heraus, daß der Papst die von vielen Gläubigen Irland empfundene "
Entrüstung, den gefühlten Treuebruch und die Scham" teile. Die Erklärung tat auch kund, daß Papst Benedikt XVI. beabsichtige, einen Pastoralbrief nach Irland zu richten, mit dem aufgezeigt werde, welche "
Maßnahmen als Antwort auf die Situation getroffen werden sollen".
Das ist offenbar ein besserer Start als damals in Amerika, aber viele Iren werden noch immer darauf warten, daß der Papst spricht - und wenn es keine Reise nach Irland ist, dann vielleicht in einer Fernsehansprache oder in einer Konferenz mit irischen Journalisten. Es kann auch sehr hilfreich sein, ein
Treffen des Papstes mit einer Gruppe irischer Opfer vorzubereiten. Im allgemeinen ist der Papst auf die Krise offensiver eingegangen als sein Vorgänger in seinen späteren Jahren.
Wenn es jemals einen Zeitpunkt gab, daß Irland Bedarf hat, diesen Willen vom Papst selbst zu hören und zu sehen, dann ist es jetzt.
5. BITTE VERWECHSELT NICHT DAS ENDE DER KRISE MIT DEM ENDE DES WEGES
Die Atmosphäre der Krise in Irland wird sich eventuell ein wenig lösen, wenn sich die Zeitungen und Talkshows mit dem nächsten berühmten Fall beschäftigen. Dies bedeutet aber nicht, daß die Geschichte vorbei ist.
Es gibt jetzt sieben katholische Diözesen in den USA, die als Ergebnis des mit der Krise verbundenen
finanziellen Druckes pleite sind. Und es gibt andere nicht gelöste Fragen wie jene der Bekanntmachung kirchlicher Aktenaufzeichnungen, die sich auf sexuellen Mißbrauch beziehen.
Ein Vorteil, den Irland hat, besteht in der Murphy-Kommission selbst. Da es eine solche zentralisierte und unabhängige Autorität in den Vereinigten Staaten nicht gibt, kamen die Enthüllungen kleckerweise ans Tageslicht, und so geht es heute noch weiter.
6. ZUR FRAGE DER BISCHÖFLICHEN VERANTWORTLICHKEIT
Nachdem sich die Sache in den USA beruhigt hatte, war dann wahrscheinlich die am längsten anhaltende Kritik folgende: während die Kirche nun sehr harte Ausführungsbestimungen - einige würden sagen: drakonische - gegenüber Priestern besitze, die mißbraucht haben, hätte sie aber keinen Mechanismus gegenüber Bischöfen, um diese zur Verantwortung zu ziehen, wenn sie
versäumten, zu handeln.
Ein oder zwei Rücktritte hochrangiger Kirchenleute mögen den Druck vermindern, aber solche Schritte lösen nicht das Gesamtproblem. Das ist für jede lokale Teilkirche hart, weil die Verantwortung für die Bischöfe in Rom liegt. Jetzt, da klar ist, daß die Krise nicht nur ein US-Problem ist, gibt es vielleicht eine neue Möglichkeit, diese Frage mit dem Heiligen Stuhl neu zu klären. Wenn die gegenwärtige Krise abklingt, wird es den natürlichen Wunsch geben, weiterzumachen. Um jedoch späteres Kopfweh zu verhindern, wäre es weise, über einige dieser dornigen Angelegenheiten jetzt nachzudenken, da der Impuls gegeben ist, die Dinge anzugehen.
[
ENDE DER ÜBERSETZUNG DIESES GANZ AKTUELLEN TEXTES.]
Diese Ratschläge von John Allen halte ich auch deshalb für so wichtig, weil in vereinzelten Artikeln oder Diskussionen auf selbsternannt-katholischen Internetportalen - ein konkretisierendes Urteil erspare ich mir jetzt - ziemlich rechthaberische Meinungen nachlesbar sind, als ob sich die Kirche zu wenig in der Öffentlichkeit verteidigte, als ob die katholische Bischofskonferenz Deutschlands medial falsch reagiert hätte oder gar, daß Opfern innerkirchlichen sexuellen Mißbrauchs generell zu rasch Glauben geschenkt werde. In Wirklichkeit ist eine solche der Sache und der Katholischen Kirche nicht dienende rein-defensive Haltung langfristig von keinem Gewinn, und so bleibe ich dabei, daß die damalige Aufarbeitung des (etwas anders gelagerten) österreichischen Sexskandals in St. Pölten mit der offensiven Aufarbeitung durch eine Apostolische Visitation und mit der guten Medienarbeit des damals von Johannes Paul II. eingeteilten Visitators Diözesanbischof Dr. Dr. Klaus Küng ein Lehrbeispiel dafür bleibt, wie Reaktionen richtig, umfassend und sachlich sowie vor allem auch glaubwürdig aussehen können und müssen. Dies kann ja in meinem Blogbuch ausführlich nachgelesen werden (vgl. rechts die Kategorie "Skandal St. Pölten"). Mit herzlichen Segensgrüßen an diesem Sonntag Quinquagesima und auch mit Gedanken an den heiligen Märtyrerpriesters Valentin verbleibt Euer Vizeoffizial Dr. Alexander Pytlik - Padre Alex
Diesmal stand die Frühjahrsvollversammlung der Katholischen Bischofskonferenz Deutschlands unter besonderer Beachtung aufgrund der Problematik innerkirchlichen klerikalen sexuellen Mißbrauchs Minderjähriger. Aus diesem Grund sei an dieser Stelle betont, d
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