TEIL 3 (gehalten am 14. August 2005) (
TEIL 1 -
TEIL 2)
Bevor wir morgen zum Hochfest der Aufnahme Mariens mit Seele und Leib in den Himmel beim Patroziniumshochamt mit Kräutersegnung und mit Eucharistischem Segen auf eines der herrlichsten Festgeheimnisse des ganzen Kirchenjahres blicken, kehren wir noch in anderer Weise zum Themenkreis Sterben und Tod zurück. Wir lagen mit unseren Überlegungen an zwei Sonntagen, was die Chancen, Grenzen und Gefahren einer persönlichen Patientenverfügung betrifft, in der Tat goldrichtig, denn in einer der jüngsten Ausgaben des Deutschen Ärzteblattes gesteht ein Mitarbeiter eines Institutes für Ethik ein (
Dtsch Arztebl 2005; 102: A 2079 - 2082 [Heft 30]): "
Selbst wenn eine Vorausverfügung vorliegt, kann ihre Anwendung bei Entscheidungen zur Therapiebegrenzung dennoch problematisch sein. Denn es ist kaum möglich, die subjektiven (= persönlichen)
Präferenzen für einen unbestimmten künftigen Zeitpunkt mit nur schwer einschätzbaren gesundheitlichen Einschränkungen und medizinischen Therapiemodalitäten so klar zu bestimmen und in einer Patientenverfügung schriftlich zu fixieren, daß Interpretationsprobleme bei der Anwendung durch stellvertretende Entscheidungsträger verläßlich vermieden werden. Offenheiten - und damit ethische Kontroversen - werden also bleiben. Hierfür sollten diesseits gerichtlicher Entscheide Institutionen wie zum Beispiel ein klinisches Ethik-Komitee vorhanden sein, um eine fallnahe Konfliktlösung zu erarbeiten, die das Wohlergehen und den (erklärten oder mutmaßlichen) Willen der betroffenen Patienten in angemessener Weise respektiert."
Doch in Wirklichkeit gibt es im bereits kurz angeschnittenen Fall der Wachkoma-Patienten - wie es Teresa Maria Schiavo (+ 31. März 2005) in den USA war und wie es etwa 10000 in Deutschland sind - gar keine Offenheit oder Legitimation, die Ernährung abzubrechen, selbst wenn es in einer gültigen Patientenverfügung verlangt würde. Wer sich nämlich auskennt, weiß, daß bei den Wachkomapatienten so gut wie nie die Frage besteht, ob eine Sondenernährung neu begonnen werden muß, sondern ob eine bestehende Ernährung abgebrochen werden soll. Deswegen hatte der stellvertretende Vorsitzende der Enquete-Kommission "
Ethik und Recht der modernen Medizin" im Deutschen Bundestag, Hubert Hüppe von der CDU, völlig recht, daß die in die Schlagzeilen geratene Terry Schiavo keine Sterbende, sondern eine Frau mit Behinderung war. Es wäre nicht sicher, ob sich ihr Zustand nicht doch noch veränderte. Unter anderem genau deshalb lehrte der Diener Gottes Papst Johannes Paul II. in seiner richtungsweisenden Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Fachkongresses zum Thema "
Lebenserhaltende Behandlungen und vegetativer Zustand: wissenschaftlicher Fortschritte und ethische Dilemmata" vom 20. März 2004 klar:
"
Der Kranke im vegetativen Zustand (= im Wachkoma),
der die Wiederherstellung oder das natürliche Ende erwartet, hat das Recht auf eine grundlegende ärztliche Betreuung (Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeit, Hygiene, Wärme usw.) und auf die Vorsorge gegen Komplikationen, die mit der Bettlägrigkeit verbunden sind. Er hat auch das Recht auf einen gezielten rehabilitativen Eingriff und auf die Überwachung der klinischen Zeichen einer eventuellen Besserung. - Insbesondere möchte ich unterstreichen, daß die Verabreichung von Wasser und Nahrung, auch wenn sie auf künstlichen Wegen geschieht, immer ein natürliches Mittel der Lebenserhaltung und keine medizinische Handlung ist. Ihre Anwendung ist deshalb prinzipiell als normal und angemessen und damit als moralisch verpflichtend zu betrachten, in dem Maß, in dem und bis zu dem sie ihre eigene Zielsetzung erreicht, die im vorliegenden Fall darin besteht, dem Patienten Ernährung und Linderung der Leiden zu verschaffen. - Denn die Pflicht, dem Kranken in solchen Fällen die gebotenen normalen Behandlungen nicht vorzuenthalten, umfaßt auch die Versorgung mit Nahrung und Wasser (vgl. Päpstl. Rat für die Pastoral im Krankendienst, Charta für den Krankendienst, Nr. 120). Eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, die auf den geringen Hoffnungen auf Besserung gründet, wenn der vegetative Zustand mehr als ein Jahr andauert, kann ethisch die Aussetzung oder Unterbrechung der Mindestbehandlungen des Patienten, einschließlich der Ernährung und Wasserverabreichung, nicht rechtfertigen. Denn der Tod durch Verhungern und Verdursten ist das einzig mögliche Resultat infolge ihrer Unterbrechung. In diesem Sinn wird er am Ende - wenn er bewußt und absichtlich herbeigeführt wird - zur tatsächlichen realen Euthanasie durch Unterlassung (...) Im übrigen ist der moralische Grundsatz bekannt, wonach auch der einfache Zweifel, ob man sich einer lebenden Person gegenüber befindet, schon dazu verpflichtet, diese voll zu respektieren und jede Handlung zu unterlassen, die auf ihren vorzeitigen Tod abzielt."
Und so hat der Präsident des italienischen Bioethik-Komitees, Professor Dr. Francesco D'Agostino, recht, der zum viel diskutierten Fall Terry Schiavo und zu ihrer schließlich angeordneten Tötung sagte: "
Es ist eine schreckliche Entscheidung. Auch wenn diese Krankheitszustände mit niedriger Genesungswahrscheinlichkeit verbunden sind, gibt es da bioethisch nur eine einzige Pflicht: sich des Kranken pflegerisch anzunehmen. Die gesetzlichen Vertreter müßten die Personen im Wachkoma diesbezüglich rechtlich schützen. Im konkreten Fall kann man nicht von therapeutischem Übereifer sprechen: Terry braucht einfach Ernährung, und diese Ernährung ist weder eine komplizierte noch eine anspruchsvolle Technologie." Wir alle sollten daher gemeinsam dagegen ankämpfen, daß es zur weiteren Kürzung von Mitteln, zu einer Entwertung von alten und kranken Menschen und zur falschen Verabsolutierung des Selbstbestimmungsrechtes kommt und schließlich als human und würdig verkauft würde, menschliches Leben mit den Mitteln der Medizin einfach "schnell und schmerzlos" zu beenden. Was nämlich völlig übersehen wird - und dies sagt im Ärzteblatt verdienstlicherweise ein Mediziner namens Prof. Dr. med. Karl H. Beine - daß die Hospizbewegung und die moderne (schmerzlindernde) Palliativmedizin
längst den Beweis dafür erbracht haben, daß der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe so gut wie gar nicht bei Menschen vorkommt, deren Schmerzen erträglich sind, die kompetent und menschlich therapiert und gepflegt werden und die in tragfähigen Beziehungen leben.
Um das Kapitel Patientenverfügung und medizinische Behandlungen vorläufig abzuschließen, konsultieren wir noch den vorgestern in deutscher Sprache erschienenen weltweit gültigen
Katholischen Kurzkatechismus, genauer das praktische Kompendium zum
Katechismus der Katholischen Kirche, das also somit rechtzeitig vor dem Katholischen Weltjugendtag in Köln erschienen ist und in keinem Haushalt fehlen sollte (in der
Gottesdienstordnung habe ich darauf Bezug genommen). Das Frage-Antwort-System führt uns hier weiter, die Frage Nr. 471 lautet nämlich:
welche medizinischen Verfahren sind gestattet, wenn der Tod unmittelbar bevorsteht? (Wir reden hier also nicht vom Sonderfall des Wachkomas, bei dem über Jahre hinweg der Tod nicht bevorsteht!) Die Antwort auf die Frage lautet im neuen Kurzkatechismus: "
die Pflege, die man gewöhnlich einer kranken Person schuldet, darf nicht abgebrochen werden. Erlaubt sind dagegen die Verwendung schmerzlindernder Mittel, die nicht auf den Tod abzielen, sowie der Verzicht auf die Anwendung medizinischer Verfahren, die in keinem Verhältnis stehen und bei denen es keine begründete Hoffnung auf einen positiven Ausgang gibt." Und damit gibt diese knappe Antwort genau das wieder, was nach naturrechtlicher und somit nach katholischer Auffassung einzig legitimer Bestandteil einer therapiebegrenzenden Patientenverfügung sein kann und darf, so jemand überhaupt eine Patientenverfügung im Sinne einer Therapiereduktion verfassen wollte. Wichtig ist: in der Frage heißt es
wenn der Tod unmittelbar bevorsteht. Und in der Antwort heißt es, daß der Verzicht auf medizinische Verfahren gestattet ist, wenn diese in keinem Verhältnis stehen und wenn es dabei es keine begründete Hoffnung auf einen positiven Ausgang gibt.
Und nochmals, weil es nicht oft genug gesagt werden kann: Ernährung, auch sogenannte künstliche
Ernährung, ist kein medizinisches Verfahren im eigentlichen Sinne, sondern ein Grundrecht, das wir verteidigen müssen.
Der vorgestern also zweifellos zur kommenden Freude aller suchenden Menschen und aller Katholiken erschienene Kurzkatechismus leitet mit Frage Nummer 476 nun auch gleich ideal über auf unser nächstes Kapitel:
sind die Verpflanzung und das Spenden von Organen vor und nach dem Tod gestattet? Die Antwort im Kurzkatechismus lautet:
die Organverpflanzung ist sittlich annehmbar, wenn der Spender seine Zustimmung gegeben hat und keine übermäßigen Gefahren für ihn bestehen. Für die edle Tat der Organspende nach dem Tod muß der tatsächliche Tod des Spenders sicher feststehen. Damit sind wir also bei der versprochenen Thematik von Organspende und Zeitpunkt des Todes. Die Frage ist nämlich in der Tat: wann und wie steht denn der vom Katechismus angesprochene tatsächliche Tod des potentiellen Organspenders fest? Und auch da kommt uns der Diener Gottes Johannes Paul II. entgegen, da er
am 1. Februar 2005 vor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften sagte: "
Im Bereich der christlichen Anthropologie ist es wohlbekannt, daß der Augenblick des Todes für jede Person im endgültigen Verlust der konstitutiven Einheit zwischen Leib und Seele besteht. Jeder Mensch ist nämlich insofern lebendig, als er oder sie »corpore et anima unus« (= mit Leib und Seele einer)
ist (Gaudium et spes, 14), und er oder sie bleiben es, solange diese substantielle Einheit in der Ganzheit besteht. Im Licht dieser anthropologischen Wahrheit wird deutlich, daß, wie ich bei früheren Gelegenheiten bereits betont habe, »der Tod des Menschen, in diesem radikalen Sinn, ein Ereignis ist, das durch keine wissenschaftliche Technik oder empirische Methode direkt identifiziert werden kann« (vgl. Ansprache vom 29. August 2000; in O.R. dt., Nr. 37, 15.9.2000, S. 7,4)."
Also kann niemand auf Erden genau sagen, wann die Trennung von Leib und Seele bzw. der Moment des (wahren) Todes wirklich eintritt. Und genau daher rührt jetzt die Grundfrage (vgl. dazu die
nächste Predigt und auch
diesen weiterhin gültigen italienischen Beitrag mit den exemplarischen Positionen des Philosophen Prof. Dr. Josef Seifert und des Mediziners Prof. Dr. Johannes Bonelli):
müssen wir daher in jedem Sterbefall nach Auffassung einiger christlicher Denker so viel Zeit lassen, daß dem Verstorbenen dann (logischerweise) auch keine brauchbaren Organe mehr entnommen werden können,
oder aber haben führende (auch christliche) Mediziner recht, die sich sicher sind, daß ein gewissenhaft festgestellter Hirntod bereits der legitime Zeitpunkt auch für die Entnahme brauchbarer und möglicherweise lebenswichtiger Organe ist? Was können wir dazu als Christen und im Sinne einer von der Offenbarung Gottes erleuchteten Ethik sagen, oder aber ist diese Frage vielleicht in dieser Alternative falsch gestellt, weil zwei unterschiedliche Ebenen gegeneinander ausgespielt werden? All den damit verbundenen Aspekten in der richtigen Zuordnung nachzugehen, dies möge uns morgen die allerseligste Jungfrau und Gottesmutter Maria ermöglichen, deren Entschlafung und herrliche Aufnahme in den Himmel mit Seele und Leib wir hochfestlich begehen werden.
AMEN.
Portal gegen aktive Sterbehilfe und entsprechend formulierte Patientenverfügungen